Wirtschaftsausblick 2025: Das Problem mit der verschleppten Krankheit

Wirtschaft 6 min Lesedauer 30.10.2024
Ein kleines Mädchen misst Fieber bei ihrem Teddybären

Eine Erkältung kommt drei Tage, bleibt drei Tage und geht drei Tage. So das Sprichwort. Die Schwäche der deutschen Wirtschaft hat sich allerdings deutlich länger aufgebaut, und hält sich auch schon wesentlich hartnäckiger. Und wie lang wird sie bleiben? Ein Jahr, nachdem die Diagnose „kranker Mann Europas“ zum wiederholten Male gestellt wurde, ist das nervige Kratzen im Hals jedenfalls noch immer nicht verschwunden. Und mittlerweile wird auch dem Letzten klar, dass es sich nicht um eine kurze Sommererkältung handelte, sondern eine zu lange verschleppte Krankheit, die mittlerweile chronische Anzeichen hat.

Für einen kurzen Moment schien es zu Beginn des Jahres ein wenig aufwärtszugehen mit der deutschen Wirtschaft – die Erkältungssymptome waren etwas abgeklungen und in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 wurde sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent verzeichnet. Über den Berg war der kranke Mann Europas damit aber noch nicht, wie der weitere Jahresverlauf unmissverständlich verdeutlichte. Vom Optimismus, der zu Jahresbeginn zurückgekehrt war, ist mittlerweile nicht mehr viel übrig.

Bereits im zweiten Quartal schrumpfte die Wirtschaft wieder um 0,1 Prozent. Seit dem ersten Quartal 2022 ist die deutsche Wirtschaft durchschnittlich in jedem Quartal stagniert – das spricht nicht für einen kurzfristigen Leistungsabfall aufgrund von krankheitsbedingter Schlappheit, sondern eher für strukturelle Schwäche. Zwar gibt es einige kleine zyklische Hoffnungsschimmer für die vor uns liegenden Monate, doch diese werden wenig an dem Bild einer in der Stagnation gefangenen Volkswirtschaft ändern.

Hoffnungsschimmer 1: Die Industrie

Porträtfoto von Franziska Biehl
Wie lange wird die Schwäche der deutschen Wirtschaft anhalten? Die Analyse von ING-Ökonomin Franziska Biehl.

Einen dieser Hoffnungsschimmer bietet die Industrie. Die Industrieproduktion lag zuletzt noch immer um 10 Prozent unterhalb des Niveaus von vor Beginn der Pandemie. Der Blick auf die Zukunft verspricht kaum Besserung, denn in den Auftragsbüchern herrscht gähnende Leere und die Vorräte stagnieren auf hohem Niveau. Kein Wunder, denn mit dem Abkühlen der US-amerikanischen als auch der chinesischen Wirtschaft sind die beiden wichtigsten Handelspartner Deutschlands aktuell ebenfalls nicht so richtig auf dem Damm – und das sind schlicht und ergreifend keine guten Nachrichten für die deutsche Wirtschaft.

Aber wie war das nochmal mit dem Hoffnungsschimmer? Naja, je tiefer am Boden man ist, desto leichter lässt sich eine Verbesserung erzielen. Von solch niedrigen Niveaus braucht es nur einen minimalen Impuls, um die Industrieproduktion anzukurbeln.

Hoffnungsschimmer 2: Der private Konsum

Auch der private Konsum ließ sich zuletzt noch nicht so richtig aus der Reserve locken. Obwohl die Nominallöhne im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent gestiegen waren, blieben die Portemonnaies der Deutschen in den Taschen. Sparen war die Devise, mit einer Sparneigung auf anhaltend hohen Niveaus und einer Anschaffungsneigung, die einfach nicht aus dem Keller kommen will.

Mit Blick auf die Nachrichten rund um Arbeitsplatzrestrukturierungen sowie die anhaltend hohe Anzahl an Insolvenzen überrascht es allerdings auch nicht, dass ein Großteil des zusätzlichen Einkommens auf dem Sparkonto landet und nicht vollständig in den Konsum fließt. Auch die politische Unsicherheit, sowohl vor der eigenen Haustür als auch im globalen Kontext, dürften auf die Kauflaune schlagen. Da konnte auch keine Heim-EM helfen.

Doch auch für den privaten Konsum gibt es Hoffnung – die Inflation hat in den vergangenen Monaten nachgegeben, und nachdem dies anfangs noch insbesondere durch günstige Basiseffekte, wie niedrigere Energiepreise, getrieben war, zeigen sich mittlerweile erste Zeichen eines breiteren disinflationären Trends. Die Kaufkraft der Verbraucher wird also langsam wieder hergestellt, was sich positiv auf den Konsum auswirken könnte.

Die Zinsen sinken wohl weiter

Hinzukommt, dass die Europäische Zentralbank die Zinswende 2.0 eingeleitet hat. Eine ganz besondere, denn in der Vergangenheit wurden Zinssenkungszyklen aufgrund von schweren Krisen oder Rezessionen ausgelöst. Auch wenn die Eurozone-Wirtschaft schwächelt, in einer schweren Rezession steckt sie nicht. Nein, dieses Mal sehen wir keine EZB, die die Zinsen senkt, weil sie es muss – wir sehen eine EZB, die die Zinsen senkt, weil sie denkt, dass sie es kann. Und in diesem Jahr konnte sie bereits drei Mal. Um 75 Basispunkte senkte die Zentralbank den Einlagenzins in diesem Jahr, eine weitere Zinssenkung dürfte im Dezember folgen.

Da die Inflationssorgen zuletzt ein wenig nachgelassen haben, und die Sorgen vor einer stärkeren wirtschaftlichen Abkühlung in der Eurozone in den Vordergrund getreten sind, dürfte der Zinssenkungszyklus im kommenden Jahr weitergehen. Zwar nicht so aggressiv wie der vergangene Zinserhöhungszyklus, jedoch weit genug, um das Sparen etwas weniger attraktiv zu gestalten. Die Geldbörsen der Verbraucher dürften sich also im kommenden Jahr wieder ein wenig öffnen – gute Nachrichten für den privaten Konsum in 2025!

Von der zyklischen Seite dürfte es im kommenden Jahr also durchaus einige Verbesserungen geben – auch wenn es nach wie vor nicht zu vernachlässigende Risiken für diesen Ausblick gibt. Die Gewerkschaften dürften unter Anbetracht des abkühlenden Arbeitsmarkts mehr auf Arbeitsplatzsicherheit als auf starke Lohnforderungen setzen. Und jegliche Eskalation des Nahost-Konflikts, der einen Anstieg des Ölpreises zur Folge hätte, würde die bereits schwächelnde Industrie zusätzlich belasten.

Die Wurzel der Probleme: mangelnde Investitionen

Zudem bleiben noch die altbekannten strukturellen Schwächen bestehen – die Gründe dafür, dass die deutsche Wirtschaft es einfach nicht schafft, die verschleppte Krankheit abzuschütteln. Die Symptome, sprich die schwächelnde Konjunktur, mögen mit der Zeit abklingen, doch die Ursache bleibt bestehen: mangelnde Investitionen in Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur sowie Strukturreformen, wodurch die Bewältigung der grünen Transformation, des demographischen Wandels und sich verändernde Handelsströme erschwert werden.

Dementsprechend ist auch für das vor uns liegende Jahr 2025 nicht davon auszugehen, dass Deutschland das Image des kranken Mannes Europas völlig abschütteln können wird. Zwar gibt es einige zyklische Hoffnungsschimmer, der Ursache der Krankheit an den Kragen zu gehen wird allerdings sowohl mehr Zeit als auch stärkere Medizin als die bisher verabreichte homöopathische Dosis an Wirtschaftspaketen kosten.

Autor: Franziska Biehl

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