Von Kunst und Wissenschaft

3 min Lesedauer 07.09.2017
Pärchen mittleren Alters liest Zeitung im Bett mit Hund

Der ehemalige Vize-Vorsitzende der amerikanischen Notenbank, Alan Blinder, schrieb in einem Aufsatz in den neunziger Jahren, dass Geldpolitik häufig mehr Kunst als Wissenschaft ist. EZB Präsident Draghi kann momentan hiervon ein Lied singen.
 
Die Finanzmärkte haben schon seit Wochen nur ein Thema: Wann kündigt EZB-Präsident Draghi endlich den Einstieg in den Ausstieg an? Die Konjunktur in der Eurozone läuft gut, die Inflation zieht ganz langsam an und die Spatzen singen von den Dächern, dass der EZB spätestens im nächsten Sommer die Staatsanleihen ausgehen werden. Daher liegt es nahe, dass die EZB so langsam das Anleihenprogramm zurückdreht. Schließlich war das Programm Teil des europäischen Krisenmanagements und von Krise kann momentan nicht die Rede sein.

Der starke Euro bereitet der EZB Kopfschmerzen

Allerdings hat die EZB jetzt ein neues, unerwartetes Problem. Dauerhafte politische Unsicherheit in den USA, sowie die starke Konjunktur in der Eurozone und Spekulationen über ein Ende der ultra-lockeren Geldpolitik der EZB haben in den letzten Monaten zu einer starken Aufwertung des Euros geführt. Wie an dieser Stelle schon im letzten Monat erwähnt, gibt der starke Euro im Augenblick keinen Anlass für Konjunktursorgen. Noch nicht. Kopfschmerzen bereitet er der EZB dahingegen mittlerweile schon.
 
Denn die EZB weiß: wenn sie den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik zu überschwänglich ankündigt, könnte der Euro noch stärker steigen und irgendwann doch zur Bedrohung werden. Um den Euro dauerhaft zu schwächen, müsste die EZB allerdings den Einstieg in den Ausstieg offiziell vertagen. Eigentlich unmöglich aufgrund des Knappheitsproblems bei Anleihen. So etwas nennt man wohl eine „lose-lose-Situation“. Oder auf gut Deutsch: die EZB sitzt in der Euro-Falle.

Wortakrobatik ist mehr gefordert denn je

Was bleibt Mario Draghi also übrig? Er wird noch stärker als bisher auf die magische Kraft seiner Worte setzen müssen und mit Wortakrobatik den Märkten das Gefühl geben, dass der Einstieg in den Ausstieg kommen wird (wahrscheinlich im Januar 2018), dabei aber sehr langsam und sanft sein wird. Gleichzeitig wird er mit inbrünstiger Überzeugung darstellen müssen, dass die EZB mehr als nur ein Auge auf die Wechselkursentwicklung hat und nicht davor zurückschrecken würde, dem Euro – so er denn in noch höheren Gefilden zurecht käme – auch aktiv etwas die Flügel zu stutzen.
 
Ob die EZB das auch machen würde, bzw. kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn letztendlich ist es noch keiner Notenbank gelungen, den Wechselkurs entgegen dem Marktsentiment ausschließlich mit Worten zu kehren. Auch Alan Blinder weiß, dass in der Geldpolitik trotz aller Macht der Worte, die Theorie der Kunst ab und zu die Grenzen aufzeigen kann.