Chart of the Week | 06.10.2017

Spanien ohne Crema catalana?

3 min Lesedauer 06.10.2017

Nachdem die Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gemäßigt über die Bühne gegangen sind, hat sich seit dem letzten Wochenende ein neuer politischer Krisenherd in der Eurozone aufgetan. Das katalonische Unabhängigkeitsreferendum hat hohe Wellen geschlagen. Einerseits, weil es gegen die spanische Verfassung verstößt, andererseits, weil die spanische Regierung brutal gegen die Wähler vorgegangen ist. Die Separatistenbewegung in Katalonien strebt die Unabhängigkeit an, und das nicht erst seit dem Wochenende. Wie es jetzt weiter gehen soll, ist undeutlich. Erste spanische Banken haben angekündigt, ihre Sitze aus Katalonien in andere spanische Gebiete zu verlagern. Auch wenn es in den letzten Tagen etwas ruhiger geworden ist, die Lage hat sich noch lange nicht beruhigt. 
 
Mit seinen separatistischen Ideen steht Katalonien in der EU nicht alleine da: Auch im Baskenland, Flandern, Schottland oder auch in der Po-Ebene gab und gibt es Tendenzen zur Abspaltung, während es in Bayern bislang weniger ernst gemeinte Gedankenspiele sind. Allen gemeinsam ist, dass es sich um wirtschaftsstarke Regionen handelt, wie unser Chart der Woche zeigt. So erwirtschaftet Katalonien fast ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), das Baskenland immerhin 6%. Große Firmen der Automobil- und Pharmaindustrie sind hier ansässig, Barcelona ist ein Touristenmagnet. Flandern oder die Po-Ebene erwirtschaften gar über 50% des BIPs, Schottland macht einen Anteil von 8% am BIP des Vereinigten Königreichs aus und kann auf große Ölreserven zugreifen, und auch Bayern präsentiert sich mit 18% der deutschen Wirtschaftsleistung als Deutschlands zweitstärkste Wirtschaftsregion nach Nordrhein-Westfalen. 

Anteil der Regionen am BIP ihres Landes

Die Unabhängigkeitsbestrebungen rühren daher nicht nur von historischen Konflikten oder Spannungen, sondern aktuell auch gerade von dieser wirtschaftlichen Stärke: Unzufriedenheit über Transferzahlungen an weniger starke Wirtschaftsregionen macht sich nicht nur in Katalonien breit, sondern ist immer wieder Herd für aufkommende Abspaltungstendenzen. Doch so einfach geht es nicht, einerseits wegen der nationalen Verfassungen. Und andererseits bedeutet eine komplette Unabhängigkeit auch, die EU-Mitgliedschaft zu verlieren und damit den Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Eine Wiederaufnahme bedingt nicht nur die Erfüllung der Maastricht-Kriterien, sondern auch die Zustimmung aller EU-Mitglieder. Und genau das ist wenig wahrscheinlich. Damit stellt sich den Separatisten eigentlich das gleiche Problem wie den Brexiteers: Ist meine Wirtschaft nach dem „Exit“ noch genauso stark wie vorher oder ist meine Wirtschaft eigentlich nur so stark, weil sie Teil eines Landes und der EU ist? Damit ähneln alle Exit-Gedanken von Regionen in der EU momentan fast wirtschaftlichem Selbstmord. Langfristig – muss man aber ehrlich genug sein – sind auch Szenarien möglich, in denen es ein Europa oder eine Eurozone der Regionen und nicht mehr der Länder gibt. Aber so weit sind wir noch lange nicht. 
 
Für Katalonien heißt das, dass beide Seiten sich auf einen Kompromiss einigen sollten. Mehr Macht und Steuerverantwortung für Katalonien, ohne dass die spanische Zentralregierung ihr Gesicht verliert. Die beste Lösung für Katalonien, Spanien und Europa. Denn sind wir mal ehrlich: Spanien ohne Crema catalana kann man sich nicht vorstellen. Genauso wenig wie die Champions League ohne den FC Barcelona.