Chart of the Week | 25.01.2019

Selbst schuld?

3 min Lesedauer 25.01.2019

Wohnraum ist kein Gut wie jedes andere – diese Binsenweisheit zeigt sich nicht nur in der Debatte um steigende Immobilienpreise und Mieten vor allem im städtischen Raum, sondern auch im Rahmen einer ING-Umfrage. Mieter und Eigentümer in ländlichen Gegenden sowie in Städten mit unter 100.000 Einwohnern wurden befragt, ob sie bereit wären, für ein Haus oder eine Wohnung in einer größeren Stadt mehr als den Wert ihrer derzeitigen Immobilie beziehungsweise eine höhere Miete zu bezahlen. Großstädte gelten durch ihr meist breiteres kulturelles wie auch ökonomisches Angebot gemeinhin als attraktiv. Ziel der Frage war, dieser Attraktivität eine Art Preisschild zu verpassen.

 

Tatsächlich stellte sich aber heraus, dass die Menschen in ländlichen Gegenden mit ihrer Wohnsituation recht zufrieden sind: Mehr als drei Viertel der Befragten würden einen Umzug in die Großstadt entweder gar nicht in Betracht ziehen oder wären jedenfalls nicht bereit, dabei draufzuzahlen. Nur rund 15 Prozent der Befragten wären bereit, einen Aufschlag von 30 Prozent oder mehr hinzunehmen. Der Eindruck, den man in der aktuellen Diskussion manchmal bekommen kann, dass Menschenmassen nur darauf warten, vom Land in die Städte zu ziehen und dort die Preise hochzutreiben, scheint nicht zutreffend zu sein. Aber wo kommen dann die steigenden Immobilienpreise und Mieten in den Städten her?

 

In der klassischen Lehre von den Märkten reagiert die Nachfrage auf Preisveränderungen. Das bedeutet, dass mit steigenden Preisen und Mieten weniger Menschen in die Städte und andere sogar von dort weg ziehen wollen, um Geld zu sparen. Das sorgt dafür, dass sich die Nachfrage nicht immer weiter auftürmt und die Preise nicht ins Unendliche steigen. Wenn aber die bereits vorhandene Nachfrage „unelastisch“ ist, also nicht oder kaum auf steigende Preise reagiert, dann kann schon geringe zusätzliche Nachfrage die Preise in die Höhe treiben.

Umzugsbereitschaft von Großstädtern im Zusammenhang mit Wohnkostenersparnis

Quelle: ING International Survey

Und genau das könnte hier der Fall sein. Umgekehrt haben wir nämlich auch Menschen in Großstädten befragt, ob für sie ein Wegzug aus der Stadt in Frage käme, wenn sich dadurch Geld sparen ließe. Wie unser Chart der Woche zeigt, kommt das aber für viele Städter nicht in Betracht: Rund die Hälfte würde auf keinen Fall wegziehen oder nur dann, wenn sie mindestens die Hälfte ihrer derzeitigen Wohnkosten einsparen könnten. Vier von fünf Befragten würden eine Ersparnis von mindestens 25 Prozent verlangen.

 

Der Kern des Problems ist also möglicherweise gar nicht – oder zumindest nicht alleine – eine überwältigende Nachfrage von potenziellen Zuzüglern, sondern auch die unelastische Nachfrage aktueller Stadtbewohner. Natürlich gibt es zusätzliche Nachfrage auf dem städtischen Wohnungsmarkt. Aber unsere Umfrageergebnisse lassen die Vermutung zu: Diese würde nicht zu so dramatischen Preissteigerungen führen, wenn die Menschen so reagierten, wie sie es bei anderen Produkten im Fall steigender Preise tun. Und damit landen wir wieder bei der eingangs erwähnten Binsenweisheit: Wohnraum ist nun einmal kein Gut wie jedes andere.

 

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung eines ausführlicheren Artikels auf unserer englischsprachigen Seite ING THINK.

Autor: Sebastian Franke