Über kurz oder lang – Richtungswechsel zur Rezession?

Chart of the Week

4 min Lesedauer 01.04.2022

Staatsanleihen sind Schuldverschreibungen von Staaten, die sich am Kapitalmarkt Geld leihen und dadurch zur eigenen Finanzierung beitragen. Tatsächlich können Staatsanleihen, bzw. deren Renditen, aber sehr viel mehr sein. In der Vergangenheit war die Differenz zwischen den Renditen lang- und kurzfristiger Staatsanleihen ein guter Indikator für bevorstehende Rezessionen.

Für einen Zeitraum von wenigen Monaten bis hin zu mehreren Jahrzehnten können Anleger einem Staat Kapital zur Verfügung stellen und erhalten dafür eine Rendite. Generell gilt, dass die Rendite von Staatsanleihen steigt, wenn der Preis der Anleihe sinkt. Steigt die Anleihe im Preis, sinkt die Rendite. Für gewöhnlich liegen die Zinsen für kurzfristige Anleihen unterhalb der Zinsen für eine Anleihe mit langer Laufzeit. Ist das Gegenteil der Fall, verleihen Kapitalmarktteilnehmer Geld an einen Staat also kurzfristig zu höheren Zinsen als in der langen Frist, spricht das dafür, dass möglicherweise eine Rezession ins Haus steht. Finanzmarktteilnehmer gehen dann davon aus, dass die Zentralbanken die Zinsen in der Zukunft senken müssen, um die wirtschaftlichen Folgen der Rezession zu bekämpfen, und antizipieren, dass die Zinsen langfristig niedriger liegen werden als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Unser Chart of the Week zeigt, dass diese Umkehrung der Zinsstrukturkurve in der Vergangenheit tatsächlich ein guter Indikator für Rezessionen war. Sowohl in Deutschland als auch in den USA.

Renditedifferenzen als Indikator für Rezessionen (orangefarbene Balken zeigen Rezessionsphasen)

Der Chart zeigt, dass Renditedifferenzen in der Vergangenheit als Indikator für Rezessionen dienten.
Quelle: Refinitiv; ING Economic & Financial Analysis

Lagen die Renditen für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren oberhalb der Renditen für Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren, war die Differenz zwischen lang- und kurzfristigen Kapitalmarktzinsen also negativ, folgte darauf in der Vergangenheit verlässlich eine Rezession. Sowohl die Rezession, die durch die Ölkrise im Jahr 1980 ausgelöst wurde, als auch die durch das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2001 verursachte Rezession und die der globalen Wirtschaftskrise im Jahr 2008/2009 deuteten sich durch eine Umkehrung der Zinsstrukturkurve an. Zu Beginn der Pandemie war die Differenz zwischen den kurz- und langfristigen Kapitalmarktzinsen zwar nicht negativ, lag aber nahe bei null. Dass der Anleihemarkt tatsächlich ein verlässlicher Frühindikator ist, zeigt auch eine Studie der Federal Reserve Bank of San Francisco aus dem Jahr 2018. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass, abgesehen von einer Ausnahme, jedem wirtschaftlichen Abschwung in den USA seit 1955 eine inverse Renditekurve vorausging. Und zwar mit einer durchschnittlichen Vorlaufzeit von rund 10 Monaten.

In dieser Woche sendeten die US-amerikanischen Anleihemärkte zum ersten Mal seit August 2019 über eine inverse Renditekurve wieder alarmierende Signale. Ob sich für die USA somit eine Rezession andeutet oder die Märkte dieses Mal falsch liegen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Es ist allerdings möglich, dass die hohe US-Inflation die Fed zu schnellerem, aggressiverem Handeln zwingt, was im Umkehrschluss die wirtschaftliche Erholung abwürgen und ein Schrumpfen der Wirtschaft bewirken könnte.

Für Deutschland deutet die Differenz zwischen den Renditen für kurz- und längerfristige Staatsanleihen noch keine Rezessionsgefahr an. Die Staatsanleihemärkte werden aktuell allerdings auch vor allem durch die anhaltend hohe Inflation beeinflusst. Diese wird aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine noch länger höher liegen, was die Leitzinserhöhungsfantasien der Finanzmarktteilnehmer beflügelt. An den Kapitalmärkten wird mit einer schnelleren Normalisierung bzw. Einengung der Geldpolitik seitens der EZB gerechnet, was die Kapitalmarktzinsen in die Höhe treibt. Doch auch, wenn die Renditedifferenzen es aktuell nicht zeigen – die Aussichten für die deutsche Wirtschaft haben sich zuletzt deutlich getrübt. Dass wir Ökonomen in dieser Einschätzung pessimistischer sind als die Finanzmarktteilnehmer, könnte daran liegen, dass eine Zinserhöhung der EZB vom aktuell niedrigen Niveau wahrscheinlich keinen Politikfehler, also eine zu schnelle oder starke Einengung der Geldpolitik, die kurz darauf revidiert werden muss, darstellen wird. Trotz der verschlechterten Wirtschaftsaussichten gehen die Finanzmarktteilnehmer also nicht davon aus, dass die Zinsen in Zukunft niedriger liegen werden, als es aktuell der Fall ist.

Auch wenn die Zinsstrukturkurve in Deutschland aktuell kein Rezessionsrisiko anzeigt, ist das Risiko einer technischen Rezession dennoch durchaus gegeben. Nachdem die deutsche Wirtschaft im vierten Quartal des Jahres 2021 bereits geschrumpft war, dürfte es im ersten Quartal dieses Jahres bestenfalls für ein Stagnieren der Wirtschaft gereicht haben. Auch die Aussichten für das zweite Quartal sind nicht besser, ganz im Gegenteil. So gut sich die Renditedifferenzen in der Vergangenheit als Indikator für Konjunkturumschwünge in Deutschland geeignet haben, die stark abgeschwächten Wirtschaftsaussichten bilden sie aktuell nicht ab.

Autor: Franziska Biehl