Die Welt wird wieder kleiner

Chart of the Week

4 min Lesedauer 20.01.2023

Bis ein Produkt auf die Handelsfläche kommt, hat es oft mehr Kontinente bereist, als die meisten Menschen in so kurzer Zeit schaffen würden. Für ein Unternehmen arbeiten, das mehrere tausend Kilometer vom Wohnort entfernt ist, und diesen dennoch nicht verlassen? Die Globalisierung macht’s möglich – doch werden wir auch in Zukunft so stark vernetzt bleiben, oder wird die Welt wieder etwas kleiner?

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Globalisierung der Weltwirtschaft einiges ermöglicht. Produktionsprozesse wurden günstiger und effizienter, denn jedes Land kann sich durch vernetzte Lieferketten auf den Schritt des Prozesses konzentrieren, in welchem es die größten Stärken besitzt. Dass einzelne Fertigungsschritte in verschiedenen Ländern stattfinden und ein Produkt bis zur tatsächlichen Fertigstellung bereits mehrere Kontinente bereist hat, ist längst keine Besonderheit mehr. Doch nicht nur was die Produktion von Waren, auch was den Handel mit Ihnen betrifft, ist unsere Welt stark vernetzt. Deutschlands wichtigster Handelspartner insgesamt war im Jahr 2021 China. Aus China importierte Deutschland im Jahr 2021 auch so viel wie aus keinem anderen Land, wichtigster Abnehmer deutscher Güter hingegen waren die USA.

Doch bereits während der Pandemie wurde das Konzept der Globalisierung in Frage gestellt. Denn so viele Vorteile die vernetzte Welt mit sich bringt – leere Warenlager und hohe Rohstoffpreise aufgrund von Lieferkettenstörungen zeigten schnell die Nachteile auf. Aktuell steht die Frage im Raum, bis zu welchem Grad man die eigene Wirtschaft abhängig von anderen Volkswirtschaften machen möchte und sollte – die aktuelle Energiekrise in Europa versinnbildlicht diese Frage.

Welthandel und Bruttoinlandsprodukt (% im Vergleich zum Vorjahr)

Der Chart zeigt den Welthandel und das Bruttoinlandsprodukt (% im Vergleich zum Vorjahr)
Quelle: Refinitiv

Daher werden nun Stimmen, die das Ende der Globalisierung vorhersagen, immer lauter. Der Trend würde zum „Reshoring“, bestenfalls zum „Friendshoring“ gehen. Unser Chart of the Week zeigt, dass der Welthandel in den vergangenen Jahren stärker gewachsen ist als das globale Bruttoinlandsprodukt. Mit einsetzender Deglobalisierung würde sich dieser Trend umkehren. Wir gehen davon aus, dass bereits in diesem Jahr das Wachstum des Welthandels schwächer ausfallen wird als das der Weltwirtschaft.

Langfristig bedeutet das aber nicht nur, dass die Volkswirtschaften lernen müssen, sich in einer neuen, kleineren, Welt zurechtzufinden, sondern auch, dass der Wohlstand insgesamt leiden könnte. Der Globalisierungsreport der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass der durchschnittliche jährliche Einkommensgewinn je Einwohner durch die Globalisierung zwischen 1990 und 2018 in Deutschland bei 1.112 Euro lag. Werden Produktionsprozesse nun zurück vor die eigene Haustür geholt, wird das zunächst mit Effizienz- und Wettbewerbsfähigkeitsverlusten einhergehen, was sich auch negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken wird.

Doch nicht nur die Umstrukturierung der Lieferketten und die damit verbundene Verlangsamung des Welthandels dürften dafür sorgen, dass die Globalisierung sich verlangsamt. Aufgrund der Energieunsicherheit in Europa im allgemeinen und Deutschland im speziellen dürften ausländische Unternehmen den Wirtschaftsstandort als weniger attraktiv wahrnehmen. Dies könnte dazu führen, dass ausländische Direktinvestitionen, die ebenfalls einen großen Beitrag zur Globalisierung leisten, abnehmen.

Der Abgesang auf die Globalisierung ertönt aktuell im Chor aus der ganzen Welt – zuletzt konnten die Klänge deutlich vom Weltwirtschaftsforum in Davos vernommen werden. Wenn es um die Deglobalisierung geht, gehen wir allerdings nicht davon aus, dass jedes Land beginnen wird völlig autark zu wirtschaften. China zum Beispiel würde dadurch in der Entwicklung deutlich zurückfallen – doch die Welt wird wieder kleiner werden. In einer immer stärker vernetzten Welt wachsen auch die Unsicherheiten und nicht nur wir Volkswirte bevorzugen gut kalkulierbare Risiken.

Autor: Franziska Biehl