Wie können Anleger reagieren? | 09.04.2020

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Eines der großen Themen im zweiten Halbjahr ist die Wahl des US-Präsidenten am 3. November 2020. Mit Spannung wurden bereits die Vorwahlen der Kandidaten verfolgt. Bei den Republikanern gilt Donald Trump, der eine zweite Amtszeit anstrebt, als gesetzt. Er zieht mit dem Bonus des Amtsinhabers und dem Slogan „Keep America Great“ in den Wahlkampf.
Coronavirus trübt Trumps Bilanz
Trump strebt eine Fortsetzung seiner bisherigen Politik an. Diese hat unter anderem einen restriktiveren Umgang mit dem Thema Einwanderung und ein wirtschaftliches Handeln zum Ziel, bei dem zu allererst die Interessen der USA im Mittelpunkt stehen. Ende Februar stellte Trump Steuerentlastungen für die Mittelschicht in Aussicht.
Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie gerät Trump im Hinblick auf das Wachstum der US-Wirtschaft in die Defensive. Zwischen Januar und März schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 4,8 %. Im zweiten Quartal ist nochmals mit einer deutlichen Verschlechterung zu rechnen. Auch bei der Arbeitslosenquote, die im April von 4,4 % auf 14,7 % emporschnellte, wird im Mai ein weiterer Anstieg erwartet. Für Trump, der sich inzwischen für negative Zinsen in den USA stark macht, wird es mit Blick auf seine Wiederwahl vor allem darauf ankommen, dass sich die Wirtschaft schnell erholt. Hilfreich wäre zudem ein Vorankommen in den Handelsstreitigkeiten, insbesondere mit China. Allerdings hat sich das Verhältnis zwischen beiden Staaten zuletzt wieder abgekühlt, da Trump der Führung in Peking vorwirft, die Verbreitung des Coronavirus nicht gestoppt zu haben.
Mit seinem Corona-Krisenmanagement machte der US-Präsident bislang alles andere als eine gute Figur. Zunächst nahm er das Virus nicht als ernste Gefahr wahr, reagierte spät mit Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und befürwortete anschließend eine schnelle Aufhebung derselben. Von seinen zweifelhaften medizinischen Ratschlägen nicht zu reden.
Joe Biden: designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten
Selbst Trumps Amtsvorgänger Barack Obama äußerte im Mai, dass die Pandemie die Überzeugung der US-Bürger zunichtegemacht habe, dass die Leute, die in der Verantwortung stehen, wissen, was sie tun. Ein bemerkenswertes Verhalten, denn traditionell bewerten ehemalige Präsidenten die Arbeit des aktuellen Amtsinhabers nicht öffentlich. Obamas Statement verdeutlich einerseits den Ernst der Lage in den USA. Andererseits ist es eine willkommene Unterstützung für Joe Biden und zeigt, dass der Kampf um den Einzug ins Haus in seine heiße Phase eintritt.
Joe Biden, der im November 78 Jahre alt wird, blickt auf eine lange politische Karriere als Senator zurück und war von 2009 bis 2017 Vizepräsident unter Barack Obama. In dieser Zeit erwarb er unter anderem das Vertrauen der afroamerikanischen Bevölkerungsschichten, wovon er in den Vorwahlen profitierte. Biden steht für einen moderaten Regierungsstil und möchte vor allem die Mittelschicht stärken. Zudem soll sein ehemaliger Mitbewerber Bernard Sanders inhaltliche Mitsprache auf dem Parteitag haben, wenn es darum geht, das Wahlprogramm der Demokraten zu fixieren. Damit und durch die bereits angekündigte Unterstützung seitens Sanders könnte Biden auch bei den jungen Wählern punkten. Außenpolitisch will Biden die durch Trump belasteten Verhältnisse zu den Verbündeten und Partnern der USA wieder in normale Bahnen lenken.
Auch wenn die Vorwahlen aufgrund von Terminverschiebungen infolge der Corona-Pandemie noch nicht abgeschlossen sind, steht Joe Biden de facto als Präsidentschaftskandidat der Demokraten fest. Alle anderen Mitbewerber haben ihre Kandidaturen inzwischen zurückgezogen. Auf den Parteitagen der Demokraten und Republikaner im August 2020 dürften Biden und Trump dann offiziell nominiert werden.
Wen mag die Wall Street?
Die Wahl des US-Präsidenten wird auch an der Wall Street genau verfolgt. In der Historie zeigte der US-Aktienmarkt, gemessen am S&P 500, die bessere Wertentwicklung unter Präsidenten aus den Reihen der Demokraten. Allerdings sollte die Statistik nicht überbewertet werden, da sie geopolitische Rahmenbedingen außer Acht lässt.
Gleichwohl gab es am Aktienmarkt im aktuellen Vorwahlkampf eine positive Reaktion, nachdem Joe Biden den „Super Tuesday“ Anfang März für sich entschied. Damit zeichnete sich ab, dass Bernie Sanders Chance auf eine Kandidatur nur noch gering war. Sanders vertrat sehr sozialistische Positionen. Er wollte eine allgemeine Krankenversicherung für alle US-Bürger, strebte die Anhebung des Mindestlohns, höhere Steuern für Reiche, eine ökologische Wirtschaftspolitik und die Auflösung großer Finanzinstitute an. Das Voting des Aktienmarkts war eindeutig: Am Handelstag nach Bidens Comeback stieg der S&P 500 um mehr als 4 %. Das Risiko, dass der US-Aktienmarkt laut Donald Trump im Falle seiner Wahlniederlage den größten Einbruch der Geschichte erleben werde, dürfte durch Sanders Rückzug gebannt sein. Biden vertritt eine moderatere Agenda, plant Investitionen in die Bildung, saubere Energie und die Erneuerung der Infrastruktur. Entsprechend positiv wären die Rahmenbedingungen für Unternehmen aus diesen Bereichen im Falle seines Wahlsieges.
Trump legt großes Augenmerk auf eine prosperierende Wirtschaft, wobei er ein Verfechter von geringen staatlichen Regulierungen ist, was vor allem dem Finanzsektor zu Gute kommt. Zugleich zeigte er sich in seiner Amtszeit mehrfach als Schutzpatron der amerikanischen Öl-Industrie und plant ebenfalls die teils marode Infrastruktur der USA auf Vordermann zu bringen. Andererseits könnte eine Verschärfung der von ihm angestoßenen Handelsstreitigkeiten Wirtschaft und Aktienmarkt belasten.
Wahlverschiebung unwahrscheinlich
Dass die Präsidentschaftswahl aufgrund des Coronavirus verschoben wird, ist sehr unwahrscheinlich. Dafür müsste ein entsprechendes Gesetz das Repräsentantenhaus und den Senat passieren, was aufgrund der unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse in beiden Häusern äußerst schwer werden dürfte. Noch schwieriger wäre eine Verschiebung des Beginns der Amtszeit des neuen Präsidenten am 20. Januar 2021, da dieser Termin Verfassungsrang besitzt.
Der Einfluss des Coronavirus auf den Wahlkampf wird andauern, nicht nur weil beide Kandidaten derzeit verstärkt virtuell um Wählerstimmen werben müssen. Führen die – von Republikanern und Demokraten gemeinsam – verabschiedeten Hilfspakete zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu einer raschen Erholung der US-Wirtschaft im 2. Halbjahr, dürfte Trump dies als sein Verdienst in Anspruch nehmen. Die nächsten Monate versprechen Spannung, denn das Rennen um das Weiße Haus tritt in seine heiße Phase ein.
Autor: ING-DiBa AG