Das Ungeheuer von Loch Ness | 04.06.2020

© ING-DiBa AG
Auch wenn die aktuellen Inflationsdaten etwas anderes sagen, die Expertenmeinungen, dass davon galoppierende Inflation nicht mehr weit weg ist, halten sich stetig. Es kann doch nicht anders sein, als dass riesige Konjunkturpakete und Milliardenspritzen der Notenbanken mit einer wahnsinnigen Geldentwertung enden. Oder doch nicht?
Die Warnungen vor zu schnell steigenden Preisen ist nicht neu. Seit der Finanzkrise, negativen Zinsen und Anleihekäufern sehen einige Experten hinter jeder Ecke und unter jedem Stein das Inflationsmonster. Dass dieses Monster seit zwölf Jahren aber einfach nicht auftauchen möchte, macht Inflation ein bisschen zum Ungeheuer von Loch Ness.
Schafft Corona dann jetzt, was die Notenbanken in den letzten zwölf Jahren nicht geschafft haben? Ich habe da so meine Zweifel. Ja, in einigen Bereichen wird man bestimmt versuchen, die Verluste der Corona-Krise mit höheren Preisen wenigstens teilweise zu kompensieren. Das vielbesuchte Restaurant, das wieder öffnen darf. Ferienorte, die sich schon immer einer hohen Beliebtheit erfreuten. Solche Erhöhungen werden aber nicht von langer Dauer sein. Entweder die Konkurrenz senkt die Preise, um Marktanteile zu gewinnen, oder die Nachfrage ist schlichtweg zu schwach. In Zeiten von steigender Arbeitslosigkeit, Abbau von Produktionskapazitäten und einer Rückkehr zur Wirtschaftsleistung von vor der Krise nicht vor Ende 2021 fehlt mir die Phantasie eine traditionelle Lohn-Preis-Spirale zu sehen.
Aber eine steigende Inflation würde doch das Schuldenproblem in der Eurozone lindern. Ja, sicherlich. Nur gibt es keinen Mechanismus, mit dem man einfach den Inflationsschalter einschaltet. Das haben die letzten zwölf Jahre gezeigt, in denen Digitalisierung und Globalisierung zusätzlich die Preise niedrig gehalten haben. Man wird wohl eher versuchen, das Schuldenproblem mit bleibend niedrigen Zinsen und möglichen Abschreibungen oder Schuldenerlassen zu lösen.
Das einzige Szenario, in dem die Inflationswarner Recht bekommen könnten, wäre eine Beschleunigung der Deglobalisierung durch Corona. Nur in abgeschotteten Volkswirtschaften gibt es das Potential für eine Lohn-Preis-Spirale. Diese Deglobalisierung hat ja durch den Handelskrieg der letzten zwei Jahre schon teilweise eingesetzt, aber Lieferketten umzubauen ist kostspielig und dauert lange. Hinzu kommt, dass eine Belieferung von dynamischen Exportmärkten nur noch aus der inländische Produktion heraus eher unwahrscheinlich klingt.
Vom Ungeheuer von Loch Ness gibt es mittlerweile schon fast 100 Jahre immer wieder mal Augenzeugenberichte. Inflation war in diesen 100 Jahren mehr als nur eine Vermutung. Es gab und gibt sie wirklich, auch wenn sie in den letzten Jahren fast genauso unsichtbar war wie Nessie. Corona wird das Ungeheuer allerdings nicht zurückbringen.
Autor: Carsten Brzeski