Wie funktioniert eine Bilanzkontrolle?
Ist-Zustand und Reformpläne
Es ist einer der größten Finanzskandale der Nachkriegszeit. Das inzwischen insolvente Fintech-Unternehmen Wirecard soll seit 2015 Scheingewinne ausgewiesen haben. Die Firma war Dienstleister für bargeldlose Zahlungen und saß an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen. Nach bisherigem Ermittlungsstand machte sie jahrelang Verluste. Im Sommer 2020 hatte Wirecard Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt – die Münchner Staatsanwaltschaft geht von einem Gesamtbetrag in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro aus. Schnell wurden Forderungen laut, Schwachstellen bei der Bilanzkontrolle zu beheben.
Wie verläuft die Bilanzkontrolle derzeit?
Bislang verläuft das so: Ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen präsentiert einen Jahresabschluss. Ist dort alles korrekt ausgewiesen? Das checken Wirtschaftsprüfer. Seit dem Jahr 2005 gibt es das sogenannte Enforcementsystem („Bilanzkontrolle“), das aus zwei Stufen besteht:
- Die als „Bilanzpolizei“ bekanntgewordene Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) prüft die Konzernabschlüsse stichprobenartig und bei konkreten Anhaltspunkten für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften. Bei der DPR handelt es sich um einen privatrechtlich organisierten Verein mit 17 Mitgliedern, welche auf Weisung der Bafin agiert.
- Die Bafin wird als zweite Instanz aktiv - falls das Unternehmen sich nicht kooperationsbereit zeigt oder von der DPR aufgedeckte Mängel in Abrede stellt. Gibt es Zweifel an den DPR-Prüfungsergebnissen kann die Bafin ebenso tätig werden. Sie ist befugt, die Prüfung der Rechnungslegung zwangsweise durchzusetzen. Auch kann sie die Prüfung an sich ziehen, falls sonst Doppelprüfungen bei Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituten, Versicherungsunternehmen, Kapitalverwaltungsgesellschaften oder extern verwalteten Investmentgesellschaften drohen.
Die Bafin kann im Fall eines Falles durchgreifen. Gibt es Fehler bei der Prüfung der Bilanz, steht das Unternehmen in der Pflicht, die Bilanzfehler öffentlich zu machen - dadurch kann der Imageschaden für die betroffene Firma groß sein. Mit diesem Procedere soll das Vertrauen der Anleger, die in Wertpapiere von Unternehmen investieren, gestärkt werden.
Eine Liste der Unternehmen, die dem Enforcementsystem unterliegen, gibt es auf der Bafin-Homepage. Die Aufstellung wird zum Stichtag 1. Juli 2021 aktualisiert. Sie soll im Laufe des vierten Quartals 2021 auf der Webseite veröffentlicht werden.
Was wird bei Unternehmen konkret geprüft?
Grundlage für die Überwachung von Unternehmensabschlüssen ist das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG; Abschnitt 16, Unterabschnitt 1). Geprüft werden laut Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin):
- Jahresabschlüsse oder Konzernabschlüsse und dazugehörige Lageberichte.
- Bei konkreten Anlässen: Halbjahresfinanzbericht mit Fokus auf den darin enthaltenen verkürzten Abschluss und den zugehörigen Zwischenlagebericht.
- Bei konkreten Anlässen: (Konzern-)Zahlungsberichte; Anlassprüfungen können auch für das vorangehende Geschäftsjahr erfolgen.
Bilanzkontrolle steht vor Reform
Der Wirecard-Skandal hat indes Schwachstellen bei der Bilanzkontrolle ans Licht gebracht. Gab es Versäumnisse der Bundesregierung und ihrer Behörden? Dieser Frage geht seit Oktober 2020 ein Untersuchungsausschuss des Bundestages nach.
Die Bundesregierung hat inzwischen einen Gesetzentwurf beschlossen. Der etwas sperrige Name lautet: Entwurf für das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz. Einzelheiten sind beim Bundesjustizministerium nachzulesen. Der Bundestag muss dem Entwurf aber noch zustimmen, Änderungen gelten als wahrscheinlich.
Welche Konsequenzen die Bundesregierung ziehen will
Damit will die Bundesregierung die Bilanzkontrolle stärken, die Wirtschaftsprüfung reformieren und härter gegen kriminelle Machenschaften vorgehen. „Die Regeln werden deutlich verschärft, und die Aufsicht bekommt mehr Biss“, hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) angekündigt. Ein Auszug der Punkte:
- Bei Verdachtsfällen soll die Bafin direkt das Ruder übernehmen und unmittelbar prüfen, selbst wenn das Unternehmen dagegen ist.
- Bei den Abschlussprüfern soll es eine Rotation geben -was heißt, sie sollen auch bei Kapitalmarktunternehmen nicht mehr zugleich prüfen und beraten dürfen. Vorgesehen ist auch, die Prüfer stärker in Haftung zu nehmen. Die Haftungshöchstgrenzen bei der Prüfung kapitalmarktorientierter Unternehmen steigen von 4 auf 16 Millionen Euro. Im Fall von grob fahrlässigem Verhalten gibt es keine Höchstgrenze mehr.
- Außerdem soll die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen die Befugnis erhalten, bei den Finanzbehörden ausgewählte steuerliche Grunddaten automatisiert abzurufen sowie Daten der Veräußerungsanzeigen nach dem Grunderwerbsteuergesetz zu erheben.
Wird fälschlicherweise behauptet, dass ein Abschluss ein korrektes Bild der Lage eines Unternehmens vermittele, kann diese eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zur Folge haben. „Das gilt auch für ein inhaltlich unrichtiges Testat des Abschlussprüfers zu dem Abschluss eines Unternehmens von öffentlichem Interesse“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).