Warum es Niedrigzinsen gibt

ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski zu Ursachen und Prognosen

Finanzwissen 3 min Lesedauer 06.08.2021

Verkehrte Welt: Bis vor einigen Jahren galt die Regel, wer viel Geld auf sein Tages- oder Festgeldkonto packt, wird dafür mit relativ hohen Zinsen belohnt. Jetzt hat sich das Spiel umgekehrt: Wer 50.000 Euro oder mehr auf solchen Konten anlegt, muss bei einigen Geldhäusern zur Strafe Zinsen an die Bank zahlen. Und wer ist dafür verantwortlich? Logisch, die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Seitdem sie von den Finanzinstituten Zinsen verlangen, sobald sie Geld bei der Notenbank parken, geben immer mehr Banken und Sparkasse diese Zinsen an ihre Kundinnen und Kunden weiter.

Kurzfristige Zinsen vom EZB-Leitzins beeinflusst

Doch so ganz geht diese Rechnung nicht auf. Es sind mehrere Faktoren, die die Zinsen beeinflussen. „Richtig ist, dass die kurzfristigen Zinsen und damit auch Zinsen auf Sparkonten stark vom EZB-Leitzins beeinflusst werden“, sagt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING für Deutschland und Österreich. Langfristige Zinsen oder Hypothekzinsen hingegen stünden eher unter dem Einfluss des Kapitalmarkts. „Den beeinflusst die EZB aktuell mit ihren Anleihekäufen allerdings auch sehr stark.“ Hinzu kommen grundsätzlich noch die Marktbedingungen, der Wettbewerb und strategische Entscheidungen von Banken, die Einfluss auf die Zinssätze nehmen.

Abnahme des strukturellen Wirtschaftswachstums führt zu niedrigen Zinsen

Und die Rolle der EZB? „Sie hat zunächst auf die niedrige Inflation und das niedrige Wirtschaftswachstum in der Eurozone reagiert und deshalb die Zinsen gesenkt. Denn das erleichtert der Wirtschaft den Zugang zu Krediten und hebt die Inflation – zumindest theoretisch – auf das von der Notenbank angestrebte Ziel von knapp unter 2%“, sagt der Chefvolkswirt. Zudem seien in den vergangenen Jahrzehnten weltweit die Zinsen stark gesunken.

Deutsche leiden besonders unter den niedrigen Zinsen

Wer die wirklich Leidtragenden der Niedrigzinspolitik der EZB sind, lässt sich nicht einfach feststellen. Für Deutschland gilt aber: „Da wir als Land der Sparer gelten, in dem es aber nur eine Eigentumsquote bei Immobilien von leicht mehr als 50% gibt, sind die Sparweltmeister von den negativen Folgen stärker getroffen als Länder mit einer höheren Eigentumsquote“, sagt Carsten Brzeski.

Warum die Zinsen nicht bald steigen werden

Inzwischen hat die Corona-Pandemie das Leben in vielen Aspekten auf den Kopf gestellt. Die Inflation steigt in Deutschland und der Eurozone über die von der Zentralbank angestrebte Marke. Auch die Nachfrage nach Krediten durch die arg gebeutelte Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr immens. Nach der Logik von Angebot und Nachfrage müssten eigentlich doch langsam auch die Zinsen wieder höher werden. Carsten Brzeski verneint: „Das Angebot an Kapital oder Krediten ist einfach höher.“ Zudem ließen die Schuldenstände vieler Euro-Länder uferlose Zinserhöhungen eh nicht zu. Aber: „Sobald die steigende Inflation nicht nur Folge von einmaligen Sondereffekten wie zurzeit ist, sondern nachhaltig bleibt, werden auch die Notenbanken wieder die Zinsen erhöhen“, prognostiziert der Chefvolkswirt.

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