Wagniskapital statt Wartehaltung: Deutschlands Weg zur Wettbewerbsstärke
Deutschland ist nicht wirklich als risikofreudiges Land bekannt – und das spiegelt sich auch in der vergleichsweise niedrigen Gründungsaktivität wider. Mit Berlin und Hamburg gibt es zwar starke nationale Player, doch um Deutschland langfristig wirtschaftlich und wettbewerbstechnisch voranzubringen, braucht es Mut zum strukturellen Wandel – und vor allem zu mehr Wagniskapital.
Der Begriff „Startup“ ist vermutlich jedem ein Begriff – dahinter verbergen sich Unternehmen, die nicht älter als 10 Jahre sind, ein innovatives Geschäftsmodell verfolgen und schnell wachsen. Wie viele solch junger Unternehmen es in Deutschland genau gibt, ist nur schwer zu beziffern. Laut Startup-Verband wurden im 1. Halbjahr 2025 allerdings 1.500 Wachstumsfirmen gegründet – rund 8 Prozent mehr als im 1. Halbjahr 2024 und der höchste Wert seit dem 1. Halbjahr 2022. Ins Verhältnis zur Bevölkerungsgröße gesetzt, wurden in Deutschland im gesamten letzten Jahr knapp 3,3 Unternehmen pro 100.000 Einwohner gegründet.
Berlin ist Deutschlands Startup-Hochburg
Dabei gibt es deutliche regionale Unterschiede – Berlin ist Deutschlands Startup-Hochburg. Hier kamen laut Startup-Verband im Jahr 2024 13,2 Unternehmensgründungen auf 100.000 Einwohner. Hamburg folgt mit 8,4 Startup-Neugründungen pro 100.000 Einwohnern, und Platz drei wird von Bayern mit 4 Gründungen pro 100.000 Einwohnern belegt. Am anderen Ende der Tabelle finden sich Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. In diesen Bundesländern kam auf 100.000 Einwohner rund eine Startup-Gründung.
Die Ergebnisse unseres ING Deutschland Innovationsindex 2025 zeigen die Ursachen für dieses innovative Ungleichgewicht innerhalb Deutschlands. Auch im ING Deutschland Innovationsindex 2025 behauptet sich Berlin und belegt zum 11. Mal in Folge Platz 1 im Rennen um das innovativste Bundesland. Und zwar aus gutem Grund: Der demografische Wandel ist hier weniger fortgeschritten als im Rest des Landes. In Berlin gibt es noch viermal so viele jüngere wie ältere Einwohner, während das Verhältnis deutschlandweit bei etwa drei zu eins liegt. Zudem ist der Anteil hochgebildeter Beschäftigter überdurchschnittlich – mehr als 45 Prozent der Berliner Arbeitnehmer verfügen über einen tertiären Bildungsabschluss, während der bundesweite Schnitt bei etwas über einem Drittel liegt. Scheinbar sehr fruchtbarer Boden für eine starke Gründerszene, denn schließlich gibt es nirgendwo in Deutschland so viele Start-ups wie in Berlin.
Auch Hamburg und Baden-Württemberg, die Plätze zwei und drei im ING Innovations-Ranking belegen, können sich innovationstechnisch durchaus sehen lassen. Hamburg übertrifft Berlin beim Jugendpotenzial und verfügt über eine besonders gut ausgebaute digitale Infrastruktur: Rund 80 Prozent der Haushalte haben einen Glasfaseranschluss – ein Zuwachs um fast zehn Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Berlin und Deutschland insgesamt verzeichneten ebenfalls Fortschritte, allerdings von deutlich niedrigeren Ausgangsniveaus. Baden-Württemberg wiederum glänzt mit der höchsten Zahl an Patentanmeldungen pro 100.000 Einwohner. Mit 137 Patenten – vor allem aus den Bereichen Transport, elektrische Maschinen und Geräte sowie elektrische Energie, und Messtechnik – wurden mehr Patente angemeldet als in den vergangenen fünf Jahren. Laut Startup-Verband wurden im vergangenen Jahr übrigens 3,1 Startups pro 100.000 Einwohner gegründet – Platz 5 im nationalen Vergleich.
Am unteren Ende des ING-Innovationsindex stehen Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Das Jugendpotenzial ist gering, das Bildungsniveau niedriger als im Rest des Landes, und es werden mehr Unternehmen geschlossen als neu gegründet. Der Anteil an Selbstständigen und Beschäftigten im High-Tech-Sektor ist ebenfalls niedrig. Damit fehlt die Grundlage für eine dynamische Gründerszene – weswegen diese entsprechend klein ausfällt.
Einige Entwicklungen machen Mut für die Zukunft
Auch wenn sich 2025 im Gesamtranking im Vergleich zum Vorjahr nur wenig getan hat, so zeigt der Blick unter die Oberfläche einige Entwicklungen, die Mut für die Zukunft machen. So ist beispielsweise der Ausbau der Glasfaserinfrastruktur weiter vorangeschritten. Im Jahr 2024 verfügten rund 40 Prozent aller deutschen Haushalte über einen Glasfaserinternetanschluss – im Vorjahr lag der Anteil der Haushalte mit solch schnellem Internet noch bei 30 Prozent.
Der demografische Wandel bleibt eine Herausforderung. Vor fünf Jahren gab es bundesweit etwa dreieinhalbmal so viele 15- bis 54-Jährige wie 55- bis 64-Jährige, zuletzt lag das Verhältnis nur noch bei 3,1. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich dieses Verhältnis in Deutschland insgesamt erneut leicht verschlechtert, doch in Teilen Ostdeutschlands zeigt sich eine positive Entwicklung: In Sachsen, das als einziges neues Bundesland nicht unter den letzten fünf im ING Deutschland Innovationsindex rangiert, sondern Platz 10 belegt, sowie in Thüringen und Brandenburg ist das Jugendpotenzial gestiegen.
Auch beim Bildungsniveau gibt es erfreuliche Nachrichten. Der Anteil der Beschäftigten mit tertiärem Bildungsabschluss ist zum dritten Mal in Folge gestiegen und liegt nun bei 34 Prozent – nach 33 Prozent im Jahr 2023, 32 Prozent im Jahr 2022 und 31 Prozent im Jahr 2021. Sachsen verzeichnete dabei besonders starke Zuwächse, nur Schleswig-Holstein konnte sich im Vergleich zum Vorjahr ähnlich deutlich verbessern. Zudem steigt der Beschäftigungsanteil im Hochtechnologiesektor: Bundesweit liegt er stabil bei 5,7 Prozent, doch einige Bundesländer verzeichnen Zuwächse. In Sachsen-Anhalt stieg der Anteil von 2,5 auf 3,3 Prozent, in Rheinland-Pfalz von 4,9 auf 5,3 Prozent und in Brandenburg von 4 auf 4,3 Prozent. Auch die Gründungsaktivität nahm in den meisten Bundesländern zu, besonders in Bremen und Hamburg.
Zunehmend Innovationspotenzial in strukturschwachen Regionen
Zwar sind die Fortschritte nicht so signifikant, dass sie die Innovationsstärke einzelner Bundesländer deutlich verändert hätten. Doch gerade strukturschwache Regionen zeigen zunehmend Innovationspotenzial – ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Allerdings lassen sich strukturelle Schwächen nicht über Nacht beheben – besonders nicht, wenn es um die Rückgewinnung von Wettbewerbsfähigkeit geht. Dafür braucht es gezielte Investitionen und Reformen.
Was die Investitionen betrifft, hat die neue Bundesregierung in den letzten Monaten eine bemerkenswerte Kehrtwende eingeleitet. Doch der Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit – gemessen am World Competitiveness Ranking des IMD – und öffentlichen Investitionen ist schwach. Infrastrukturausgaben allein reichen nicht aus, um Deutschland wirtschaftlich und wettbewerbstechnisch voranzubringen.
IMD Competitiveness Ranking 2025 & durchschnittliche jährliche Start-up-Investitionen (in % des BIP, 2015-2024):
Ein anderes Bild zeigt sich beim Zusammenhang zwischen Wagniskapital und Wettbewerbsfähigkeit. Länder mit hoher Investitionsquote in Start-ups schneiden im IMD-Ranking besser ab. Deutschland belegt 2025 Platz 19 im globalen Wettbewerbsfähigkeitsranking und Platz 4 unter den 18 Eurozone-Staaten mit verfügbaren Daten zur Start-up-Investitionsaktivität. Zwischen 2015 und 2024 wurden hierzulande durchschnittlich 2,9 Prozent des BIP in Start-ups investiert – das entspricht Platz 7 im Eurozonenvergleich. Die Schlusslichter im Wettbewerbsfähigkeitsranking, Slowakei, Kroatien und Griechenland, liegen auch bei den Start-up-Investitionen weit hinten.
Wenn Deutschland seine Wettbewerbsstärke zurückgewinnen will, braucht es mehr als ein großzügiges fiskalpolitisches Budget. Es braucht Mut zum strukturellen Wandel – und vor allem zu mehr Wagniskapital.
Den gesamten ING Deutschland Innovationsindex 2025 gibt es übrigens hier zum Nachlesen.