Chart of the Week | 10.01.2018
Reis statt Rausch, Kartoffeln statt Kippen?
Noch keine zwei Wochen ist das neue Jahr alt, doch die Spuren der Silvesternacht in Form durchweichter Pappröhrchen und abgebrannter Wunderkerzen dürften mittlerweile überall beseitigt sein. Nichts deutet mehr darauf hin, dass es zum Jahreswechsel in Deutschland wieder geknallt hat. Auf 137 Millionen Euro beliefen sich die Ausgaben für Silvesterfeuerwerk im Jahre 2016; der Branchenverband schätzte Mitte Dezember 2017, dass die Deutschen auch ein Jahr später wieder einen Betrag in ähnlicher Höhe „verpulvern“ würden. Ein passendes Wort – denn nach Expertenschätzungen sorgt das Silvesterfeuerwerk für ein Feinstaubaufkommen, das 17 Prozent des Ausstoßes im Straßenverkehr eines gesamten Jahres entspricht.
Wie immer gab es auch wieder Diskussionen um die einzigen Tage im Jahr, an denen Privatpersonen ohne Sachkundenachweis Feuerwerk zünden dürfen. Im Mittelpunkt der alljährlichen Debatte steht jedoch weder die Luftverschmutzung noch die Stressbelastung für Haustiere, sondern die Verschwendung: Anstatt sein Geld in Form von Böllern und Raketen unnötigerweise im wahrsten Sinne des Wortes „in die Luft zu jagen“, solle man es lieber spenden, um beispielsweise den Hunger in Entwicklungsländern zu bekämpfen – knackig zusammengefasst in der Formulierung „Brot statt Böller“. Ein hehres Anliegen, welches aber wohl vor allem an die herausgehobene Wahrnehmung der Knallerei zu nur einem einzigen jährlichen Anlass anknüpft.
Denn im Vergleich zu den Ausgaben für andere, ebenfalls nicht notwendige, sondern sogar schädliche Vergnügungen nehmen sich die oben genannten 137 Millionen Euro sehr bescheiden aus, wie unser Chart der Woche zeigt. So wendeten die Deutschen 2016 knapp 15 Milliarden Euro für alkoholische Getränke auf – alleine im Lebensmitteleinzelhandel, ohne den Umsatz in Gaststätten. Für Tabakwaren waren es noch einmal gut zehn Milliarden mehr.
Die Aufmerksamkeit, die den im Vergleich zu anderen Lastern vergleichsweise geringen Ausgaben für Feuerwerk geschenkt wird, könnte auf die sogenannte „Verfügbarkeitsheuristik“ zurückzuführen sein. Dieser psychologische Effekt sorgt dafür, dass wir Dingen, die in unserer Wahrnehmung besonders präsent, also verfügbar sind, höheres Gewicht einräumen. Und im Gegensatz zur alltäglichen, fast schon unbewussten Pausenzigarette oder dem Feierabendbier drängt sich das finanziell vergleichsweise unbedeutende Silvesterfeuerwerk zum Ende eines jeden Jahres lautstark und farbenfroh in unser Blickfeld.
Kein Wunder, dass es nach dem Jahreswechsel wieder elfeinhalb Monate dauert, ehe erneut über „Brot statt Böller“ diskutiert wird. Das entwertet natürlich nicht die bedenkenswerte Grundidee dieser Forderung – doch wäre das Potenzial von Initiativen wie „Reis statt Rausch“ oder „Kartoffeln statt Kippen“ wohl ungleich größer.