Mit fallenden Preisen kann man sich nicht immer mehr kaufen

Chart of the Week

3 min Lesedauer 04.12.2020

Ein Blick hinter die Kulissen des Gesamtindex zeigt, dass die gesunkenen Preise in diesem Fall kaum Mehrausgaben ermöglichen. Und dass Social-Distancing-Maßnahmen nicht nur die unbeschwerte Vorweihnachtszeit, sondern auch die Messung von Preisveränderungen belasten.

Unser Chart of the Week zeigt die Preisveränderung ausgewählter Artikel aus dem gesamten Warenkorb, der zur Messung der Inflation herangezogen wird. Unschwer zu erkennen ist, dass die Preise hauptsächlich für jene Güter gesunken sind, die von den durch Social-Distancing-Maßnahmen am stärksten betroffenen Branchen angeboten werden. Die Preise für Zugfahrten beispielsweise lagen im Oktober knapp 15 Prozent unterhalb derer des Vorjahres. Auch Pauschalreisen wurden sehr viel günstiger angeboten als im letzten Jahr und wer einen Kino-, Konzert- oder Theaterbesuch unternehmen wollte, musste dafür ebenfalls weniger zahlen als im Vergleichszeitraum. Die Problematik liegt auf der Hand: kaum ein Gut, oder eine Dienstleistung, mit sinkenden Preisen, können aktuell durch die Verbraucher angenommen werden.

 Beim täglichen Einkauf im Supermarkt sah es hingegen anders aus: die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, ebenso die für Krankenhaus- und für Haushaltsdienstleistungen. Im Prinzip bestätigt sich an dieser Stelle die einfache Gleichung: Die Preise werden durch die Nachfrage bestimmt. Und diese hat sich durch die Pandemie in diesem Jahr stark verlagert. Zudem zeigt sich, dass die Gesamtinflationsrate, welche für (geld-)politische Entscheidungen herangezogen wird, aktuell möglicherweise nicht geeignet ist, um widerzuspiegeln, wie die Preisentwicklung durch die Verbraucher erlebt wird. Jedenfalls nicht in Zeiten einer Pandemie.

Inflationsraten ausgewählter Güter und Dienstleistungen aus dem Warenkorb

Der Chart zeigt die Preisveränderung ausgewählter Güter im Vergleich zum Vormonat.
Quelle: Statistisches Bundesamt über Datastream

Die Europäische Zentralbank erkannte dieses Problem bereits im April und entwickelte einen experimentellen Ansatz zur Bestimmung der Inflationsrate in der Eurozone. Dieser berücksichtigt das veränderte Konsumverhalten und lag in jedem verfügbaren Monat etwa 0,2 Prozentpunkte oberhalb des offiziellen Index.

Des Weiteren wird das Statistische Bundesamt bereits bei der Preiserhebung vor eine große Herausforderung gestellt. Besonders im Dienstleistungsbereich wurden im Oktober starke Einschränkungen vorgenommen und Restaurants oder auch Hotels mussten schließen. Die Preisermittlung vor Ort ist somit nicht möglich. Hier greift ein sogenannter Fortschreibemechanismus, durch den die nicht verfügbaren Preise ermittelt werden. Im Preis-Kaleidoskop tauchen also Preise für Güter und Dienstleistungen auf, die zu diesem Zeitpunkt nicht angeboten werden. Dies ist allerdings keine Corona-spezifische Messschwierigkeit, denn auch bei Betriebsferien oder sonstigen kurzfristigen Schließungen wird diese Methode angewandt. In der aktuellen Krise tritt diese Problematik aber vermehrt und branchendeckend auf.

Bei fallenden Preisen läuten bei vielen Notenbankern schnell die Deflations-Alarmglocken. Eine deflationäre Spirale, die zum Erliegen wirtschaftlicher Aktivität führt, ist der Albtraum vieler Notenbanker. Etwas Deflation ist dabei allerdings noch kein Problem. Sicherlich nicht, wenn sie das Resultat von Messschwierigkeiten oder einmaligen Effekten wie der aktuellen Mehrwertsteuersenkung sind. So sehr wir Mario Draghi schätzen, in der aktuellen Situation hat er leider nicht recht. Denn mit diesen fallenden Preisen kann man sich momentan leider nicht mehr kaufen.

Autor: Franziska Biehl