Chips, wir brauchen mehr Chips

Chart of the Week

4 min Lesedauer 18.06.2021

Die Anschaffung eines Neuwagens, eines Computers oder eines elektronischen Haushaltshelfers ist bereits seit einigen Monaten nichts für schwache Nerven. Die Knappheit von Rohstoffen und Vorprodukten, insbesondere die von Halbleitern, sowie Lieferkettenunterbrechungen sorgen nicht nur für lange Wartezeiten, sondern auch dafür, dass der Griff ins Portemonnaie ein wenig tiefer wird.

Der Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten begrenzt die aktuelle Produktion. Das gaben zuletzt rund 42 Prozent der Unternehmen an, die im Rahmen der Industrie-Umfrage der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission (DG ECFIN) quartalsweise ihre Einschätzung zur aktuellen Lage teilen. Somit wurde im zweiten Quartal dieses Jahres ein neuer Höchstwert erreicht – seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1985 waren die Unternehmen noch nie mit einer vergleichbaren Knappheit konfrontiert. Im vergangenen Jahr wurde die Produktion hauptsächlich durch die mangelnde Nachfrage gedrückt – das gab im zweiten Quartal 2020 die Hälfte der befragten Unternehmen an. Zeitgleich mangelte es nur rund 10 Prozent der Unternehmen an Vorprodukten.

Aber das Blatt hat sich gewendet – und zwar sehr schnell. So schnell, dass die Hersteller von Mikrochips, die unter anderem in Autos, Computern und Handys, aber auch in Waschmaschinen und Kühlschränken verbaut werden, an ihre Produktionsgrenzen stoßen. Unser Chart of the Week zeigt, dass hierzulande besonders die Hersteller langlebiger Konsumgüter unter dem aktuellen Mangel des kleinen, aber alles entscheidenden Produkts leiden. Während im Durchschnitt seit 2015 rund 13 Prozent der Hersteller angaben, dass ein Mangel an Rohstoffen oder Vorprodukten die Produktion begrenze, waren es zuletzt knapp 70 Prozent.

Unternehmen, die angeben, dass Ausrüstungsengpässe die Produktion stören (in %)

Der Chart zeigt den prozentualen Anteil der befragten Unternehmen, die angeben, dass Ausrüstungsengpässe die Produktion stören.
Quelle: DG ECFIN; ING Economic & Financial Analysis

Denn aufgrund der Komplexität der Herstellung dieser sogenannten Halbleiter gibt es weltweit nur wenige Unternehmen, die sich auf deren Herstellung spezialisiert haben. Als wichtigster Produktionsstandort der Branche gilt Taiwan. Von dort aus werden rund zwei Drittel der globalen Chip-Nachfrage bedient. Auch die chinesische Provinz Guangdong gilt als wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die Produktion der heiß begehrten Mikrochips. Ausgerechnet dort kam es zuletzt zu Verschärfungen der Corona-Restriktionen – was die Halbleiterproduktion zusätzlich zur generell hohen Auftragslage belastet.

Aber nicht nur Halbleiter sind aktuell Mangelware – auch an Kunststoff und Schnittholz fehlt es in der Industrie. Während Ersteres auf gestörte Lieferketten zurückzuführen ist, nicht zuletzt aufgrund der Blockade des Suez-Kanal im März, lässt sich Letzteres durch die hohe Bauaktivität während der Krise erklären. Die Nachfrage ist sowohl im In- als auch im Ausland explosionsartig angestiegen. Dem Bundesverband der Deutschen Säge- und Holzwerkindustrie zufolge wurde im vergangenen Jahr 80 Prozent mehr Schnittholz exportiert als noch im Jahr 2019. Produzenten, die auf die Zulieferung dieser Vorprodukte angewiesen sind, berichten über volle Auftragsbücher bei zeitgleich leeren Lagern. Das hat zur Folge, dass einige Firmen Kurzarbeit anmelden müssen. Und zwar trotz boomender Auftragslage.

All diese Knappheiten und Lieferkettenstörungen belasten auch die Preise. Denn Preissteigerungen von rund 50 Prozent für Kunststoffe oder von mehr als 25 Prozent für bestimmte Holzarten drücken die Margen der Produzenten. Dementsprechend wird ein Teil dieser Preissteigerungen auch an die Verbraucher weitergegeben. Ein weiterer Faktor, der für die Inflation der kommenden Monate nur eine Richtung zulässt: aufwärts. Allerdings ist auch zu erkennen, dass die Preiserhöhungen nicht in vollem Umfang auf die Verbraucher abgewälzt werden. Während die Produzentenpreise im April im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent stiegen, erhöhten sich die Verbraucherpreise um „nur“ 2 Prozent. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die Verbraucherpreise aktuell besonders durch gestiegene Energiepreise belastet sind.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass Lieferkettenunterbrechungen und Rohstoffknappheiten die Industrie nicht länger als bis zum Ende des Jahres belasten werden und die Preiserhöhungen somit auch nur von begrenzter Dauer sein sollten, wird die Europäische Zentralbank nicht um die Diskussion über die Rückführung der Anleihekäufe umhinkommen. Wir gehen allerdings davon aus, dass wir eher eine Rotation von einem Ankaufprogramm zum anderen sehen werden als eine deutliche Reduzierung der Käufe.

Autor: Franziska Biehl