Der Unsicherheitsfaktor „Unsicherheit“
Chart of the Week
Den Deutschen wird häufig nachgesagt, ganz besonders sicherheitsliebend zu sein. Unvorhersehbare Entwicklungen und Veränderungen, kurzum, Unsicherheit, werden nicht gerne gesehen. Das wirkt sich auch auf wirtschaftliche Entscheidungen aus – unter Unsicherheit werden Investitions- und Kaufentscheidungen lieber zurückgestellt.
Zu Beginn der Pandemie war die Unsicherheit hoch – welchen Einfluss die Krise auf die Unternehmen, die Haushalte und den Arbeitsmarkt haben würde, war nicht abzuschätzen. Im März 2020 stieg der „Economic Policy Uncertainty Index“, ein Maß für das Niveau der Unsicherheit, welches von Baker, Bloom und Davis entwickelt wurde, auf den bis dahin höchsten Wert seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1995 an. Der Index misst wirtschaftspolitische Unsicherheit basierend auf der Anzahl an Zeitungsartikeln, die die Worte „Wirtschaft“ (oder „wirtschaftlich“), „Unsicherheit“ (oder „unsicher“) und ein oder mehrere politisch relevante Elemente enthalten. Je mehr dieser Artikel innerhalb eines Monats in den Zeitungen veröffentlicht werden, desto höher fällt der Index, und somit das gemessene Niveau der Unsicherheit, aus.
Zum damaligen Zeitpunkt war das Umfeld ungeeignet, um große Anschaffungen zu tätigen, wie die Deutschen Verbraucher fanden. Während der GfK-Index zur Anschaffungsneigung zum Jahresende 2019 noch bei 50 stand, fiel er im April 2020 auf knapp -5, was dem niedrigsten Wert seit Dezember 2008 entsprach. Unser Chart of the Week zeigt allerdings, dass nicht nur Verbraucher, sondern auch Unternehmen Kauf- bzw. Investitionsentscheidungen lieber unter Sicherheit treffen. Auf Zeiten, in denen eine hohe Unsicherheit gemessen wurde, folgte eine geringere Investitionsaktivität. Nahm die Unsicherheit hingegen ab, stiegen die Anlageinvestitionen in den folgenden Quartalen wieder an.
Erhöhte Unsicherheit führt zu geringeren Unternehmensinvestitionen
Im Dezember des vergangenen Jahres erreichte der Unsicherheitsindex einen neuen Höchstwert von 598, bevor er in den ersten Monaten dieses Jahres wieder leicht sank und im Februar bei 379 stand. Seit 2010 lag der Index im Monat durchschnittlich bei 200. Es ist davon auszugehen, dass der Index auch im März weit oberhalb dieses Durchschnittes liegen wird.
Auch für die wirtschaftlichen Aussichten insgesamt bedeutet dies vor allem eines: Ungewissheit. Die hohe Gesamtinflation und die gestiegenen Energiepreise dürften zu einem Kaufkraftverlust der Haushalte führen. Was die Industrie betrifft, ergeben sich neue Lieferkettenprobleme, hinzu kommen auch in diesem Punkt hohe Energie- und Rohstoffkosten. Durch ein hohes Maß an Unsicherheit ergibt sich eine Komponente, die die direkten negativen Wirtschaftsfolgen des Krieges in der Ukraine noch verstärkt. Haushalte könnten Kaufentscheidungen verschieben und auch Unternehmen dürften vorsichtig sein, was Investitionen betrifft.
Die starke wirtschaftliche Erholung, die sich zuletzt mit den Januar-Daten angekündigt hat, dürfte für den Moment also ein Ende gefunden haben. Tatsächlich steht die deutsche Wirtschaft nun vor dem Risiko der Stagflation, einer Mischung aus hoher Inflation bei zeitgleich stagnierendem Wirtschaftswachstum.