Die Kehrseite gestiegener Zinsen

Chart of the Week

4 min Lesedauer 17.03.2023

Mehr als ein Jahrzehnt mit Niedrig- und Negativzinsen und anderen unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen liegt hinter uns. Während dieser Phase verwiesen Vertreter des Finanzsektors immer wieder darauf, wie die Politik des billigen Geldes den Banken das Zinsergebnis verhagele. Doch mittlerweile haben die Zentralbanken rund um den Globus mit wenigen Ausnahmen die Phase der ultralockeren Geldpolitik hinter sich gelassen – und die Geschäftsbanken können nun sogar die Liquidität, die die Zentralbanken über ein Jahrzehnt lang billig in die Märkte gepumpt haben, wieder zu stattlichen Zinssätzen dort parken. Also alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen im Finanzsektor?

Nicht ganz, wie die kürzliche Pleite der Silicon Valley Bank aus dem kalifornischen Santa Clara zeigt. Denn das gestiegene Zinsniveau hat auch eine Kehrseite: Anleihen, die während der Niedrigzinsphase aufgelegt und damals unter anderem von Banken als Anlagen gekauft wurden, verlieren gegenüber derzeit begebenen Anleihen mit höheren Zinssätzen an Attraktivität und somit auch an Wert. Einen solchen Verlust musste die SVB aufgrund der Bilanzierungsregeln für zum Verkauf bereitgehaltene Wertpapiere hinnehmen. Zusätzlich geriet die Bank auch auf der Passivseite der Bilanz in Schwierigkeiten, da Kunden – viele davon aus dem Start-up-Tech-Sektor – schon Einlagen abgezogen hatten, um fehlendes Kapital in ihren Unternehmen auszugleichen. Eine geplante Kapitalerhöhung kam nicht mehr zustande, zu viele Anleger hatten bereits das Vertrauen verloren und zogen weiterhin ihre Einlagen ab. Die Einlagensicherungseinrichtung FDIC musste die Geschäfte der Bank übernehmen. Übrigens auch eine Bank, die, anders als z. B. bei den großen europäischen Banken üblich, ihr eigenes Zinsrisiko nicht abgesichert hatte.

Leitzinsen und Anleihenkurse

Der Chart zeigt die Entwicklung der Leitzinsen in der Eurozone und den USA sowie den Kursverlauf je einer beispielhaft ausgewählten deutschen und amerikanischen Staatsanleihe
Quelle: EZB, Federal Reserve Board, Onvista

Unser Chart of the Week zeigt die Entwicklung der Leitzinsen in der Eurozone und den USA sowie den Kursverlauf je einer beispielhaft ausgewählten deutschen und amerikanischen Staatsanleihe. Beide Anleihen wurden Mitte 2020 während der Niedrigzinsphase aufgelegt und laufen noch bis zum 15.08.2030. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich mit anziehendem Zinsniveau ab dem Jahr 2022 der Kurs der Anleihen entsprechend gegenläufig entwickelt.

Leicht mag man sich an die ersten Züge der Finanzkrise vor rund 15 Jahren erinnert fühlen – auch die begann damit, dass Wertpapiere in den Bilanzen der Banken an Wert verloren. Steht uns nun die nächste Krise ins Haus? Völlig auszuschließen ist das natürlich nicht, zu erwarten aber auch nicht. Der Fall der SVB ist bislang weitestgehend isoliert; die Schwierigkeiten des Instituts wurden zudem durch die Besonderheiten eines eher speziellen Geschäftsmodells verschärft. Und die SVB ist auch nicht in dem Maße mit vielen anderen relevanten Banken verbunden, wie es z. B. Lehman Brothers war.

Die aktuelle Situation zeigt aber sehr deutlich, dass Vertrauen weiterhin ein wichtiger Faktor in der Finanzbranche ist. Es ist auch ein Markt, in dem die Konkurrenz fast nie von Fehltritten eines einzelnen Akteurs profitiert, sondern eher in Sippenhaft genommen wird. Daher fangen Notenbanken wieder an, Rettungsnetze aufzuspannen. Netze, die deutlich stärker sind als noch vor 15 Jahren. In Europa gibt es eine viel stärkere Regulierung, mittlerweile eine europaweite Bankenaufsicht und auch für den Fall der Fälle eine Bankenabwicklungsbehörde.

Panik ist aktuell nicht nötig, sondern eher Aufmerksamkeit. Daher werden die Zentralbanken weiterhin ein scharfes Auge auf den Finanzsektor werfen und zur Not auch eingreifen. Allerdings nicht so sehr mit einer Lockerung der Geldpolitik, sondern mit gezielten Maßnahmen wie z. B. dem Bereitstellen von Liquidität. Zudem zeigen die aktuellen Turbulenzen den Notenbanken, dass die starken Zinserhöhungen der letzten Monate nicht spurlos an Finanz- und Realwirtschaft vorbeigehen. Etwas, was jeder Student der Volkswirtschaftslehre in den ersten Semestern lernt. Daher sind wir wohl in der letzten Phase der geldpolitischen Straffung angekommen – es dürften nur noch wenige Zinsschritte ins Haus stehen.

Autor: Sebastian Franke