Der ökonomische Einfluss von Streiks

Chart of the Week

4 min Lesedauer 31.03.2023

Am Montag fand der größte Warnstreik in Deutschland seit 31 Jahren statt. Die beiden Gewerkschaften EVG und Verdi legten dabei den öffentlichen Verkehr weitestgehend still. So kam nicht nur der gesamte Fernverkehr zum Erliegen, auch im Nahverkehr bewegte sich in sieben Bundesländern so gut wie nichts mehr und viele Flugreisende mussten sich auf Flugausfälle einstellen. Die Streikankündigung rief dabei reflexartig scharfe Kritik der Arbeitgeberseite hervor. Von einem völlig überzogenen, grundlosen und unnötigen Streik, der die Wirtschaft und das Ansehen Deutschlands beschädigt, war die Rede. Doch ist der wirtschaftliche Einfluss der Streiks tatsächlich so groß und erscheint ein Imageschaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland realistisch, gerade im europäischen Vergleich?

Zunächst lässt sich festhalten, dass trotz der vielen Einschränkungen und Unannehmlichkeiten, die der große Warn-Streik hervorgerufen hat, eine (knappe) Mehrheit der Deutschen jedoch Verständnis für den Arbeitskampf hat. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur halten 55 Prozent der Befragten den Warnstreik für gerechtfertigt. Auch vom Rat der Wirtschaftsweisen kommt Verständnis angesichts einer Inflation von 7 Prozent im Jahr 2022 und voraussichtlich 6 Prozent im Jahr 2023.

Auch der wirtschaftliche Einfluss des Streiktages wird als gering eingestuft. Untersuchungen zeigen, dass Streiks zwar die Tätigkeit in einigen Wirtschaftszweigen beeinträchtigen können, aber kaum dauerhafte Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben. Tatsächlich beschränken sich die wirtschaftlichen Auswirkungen von Streiks meist auf den Zeitraum der Mobilisierung und die verzeichneten Verluste werden im Allgemeinen in den folgenden Monaten schnell wieder ausgeglichen.

Durch Arbeitskämpfe ausgefallene Arbeitstage je 1.000 Arbeitnehmer im Jahr 2021

Der Chart zeigt die durch Arbeitskämpfe ausgefallenen Arbeitstage je 1.000 Arbeitnehmer im Jahr 2021
Quelle: European Trade Union Institute

Dass Deutschland ein sehr streikarmes Land ist, zeigt sich beim Blick auf den europäischen Vergleich. Auch deshalb hat vermutlich die Mehrheit der Deutschen nach wie vor Verständnis für den Warnstreik. Unser Chart der Woche zeigt die Anzahl durch Arbeitskämpfe ausgefallener Arbeitstage je 1.000 Arbeitnehmer im Jahr 2021.

Dabei wird der Unterschied zu unseren streikfreudigen Nachbarn schnell ersichtlich. Deutschland liegt mit 16 ausgefallenen Arbeitstagen je 1.000 Arbeitnehmer im Jahr 2021 weit abgeschlagen hinter den führenden Nationen Dänemark (95), Belgien (80) und Frankreich (58). Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Deutschland seit dem Jahr 2000 mit einem Höchstwert von 57 aufgefallenen Arbeitstagen je 1.000 Arbeitnehmern im Jahr 2015 deutlich hinter den Spitzenreitern Dänemark (743 in 2008), Spanien (365 in 2002) und Frankreich (364 in 2010) zurückliegt.

Für eine genauere ökonomische Analyse von Streiks lohnt sich ebenfalls ein Blick zu unserem französischen Nachbarn. So untersuchte das französische Nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien vergangene Streiks hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Dabei wurden mehrere Streiks von 1995 bis 2018 betrachtet. Die untersuchten Arbeitsniederlegungen waren teils mehrere Monate lang und kosteten nie mehr als 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums aufgrund des Streiks wurde zudem im jeweils folgenden Quartal durch einen Anstieg der Tätigkeit immer weitgehend ausgeglichen. Auch für die aktuellen Streiks gegen die Rentenreform erwarten unsere Kolleg*innen aus Frankreich, trotz teilweise über einer Millionen Streikender, nur einen geringen makro- und mikroökonomischen Einfluss. Die Unterbrechungen waren bisher auf einige sehr spezifische Sektoren, wie z.B. den Verkehr, beschränkt. Angesichts der Entwicklung rund um das Homeoffice seit der Pandemie ist es, laut unseren französischen Ökonom*innen, wahrscheinlich, dass die indirekten Kosten der Verkehrsunterbrechungen für andere Wirtschaftszweige sehr viel begrenzter sein werden als bei früheren Streiks.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass trotz der hohen Anzahl und Intensität der Streiks in Frankreich die Auswirkungen auf die Wirtschaft marginal sind. Somit ist auch in Deutschland von einem geringen wirtschaftlichen Einfluss vergangener Streiks auszugehen, wenngleich offizielle Untersuchungen hierzu fehlen. Und auch für den aktuellen Streik vom Montag gehen wir und andere führende Ökonomen trotz der Größe von keinem nennenswerten Einfluss auf das Wirtschaftswachstum aus. Denn auch der Großteil der Befragten (knapp 70 Prozent) gibt laut der Umfrage von YouGov an, voraussichtlich nicht von dem Streik betroffen zu sein.

Autor: Tom Ungar