Alles noch viel schlimmer?

Chart of the Week

3 min Lesedauer 28.04.2023

Von einem Reallohnverlust der Beschäftigten in Deutschland in Höhe von 3,1 Prozent im Jahr 2022 war das Statistische Bundesamt bislang ausgegangen. Dieser hatte sich aus einem Anstieg der Nominallöhne von 3,5 Prozent und der Inflationsrate von 6,9 Prozent ergeben. Erst im Februar hatten die Statistiker die Inflationsrate von zuvor 7,9 Prozent auf der Grundlage eines neuen Wägungsschemas revidiert. Eine ähnliche Revision erfolgte nun auch für den Nominallohnindex – mit dem Ergebnis, dass dessen Anstieg lediglich bei 2,6 Prozent lag. Für die um die Inflation bereinigten Reallöhne bedeutet dies ein Minus von 4,0 statt 3,1 Prozent.

Erwähnung fand in der Pressemitteilung aus Wiesbaden unter anderem eine Umstellung des Basisjahres, also des Jahres, für das der Index auf 100 gesetzt wird. Diese Umstellung ist allerdings für die Revision der Lohnindizes ebenso ohne Belang, wie es die entsprechende Umstellung beim Verbraucherpreisindex vor einigen Wochen war: Wenn ein Wert beispielsweise um 10 Prozent gestiegen ist, dann spielt es rechnerisch keine Rolle, ob der zugehörige Index diese Veränderung durch einen Sprung von 90 auf 99, von 100 auf 110 oder von 110 auf 121 abbildet. Allenfalls bei der Neuberechnung zurückliegender Werte kann es durch Rundungsdifferenzen zu minimalen Abweichungen kommen.

Reallöhne, Nominallöhne und Inflation (Veränderung zum Vorjahr in Prozent)

Der Chart zeigt für Nominallohnindex, Reallohnindex und Verbraucherpreisindex jeweils die Veränderung zum Vorjahr für die Jahre 2015 bis 2022.
Quelle: Statistisches Bundesamt

Wie schon beim Verbraucherpreisindex waren es vielmehr methodische Änderungen, die bei der Revision ihre Wirkung zeigten. So erfasst die neue Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamts nun auch kleinere Betriebe und untypische Beschäftigungsarten wie beispielsweise Altersteilzeit.

Aus den Werten vor beiden Revisionen – also dem bislang berichteten Nominallohnanstieg von 3,5 Prozent und der bis Februar berichteten Inflationsrate von 7,9 Prozent – ergäbe sich mit einem Reallohnverlust von 4,1 Prozent interessanterweise fast derselbe Wert wie der nun veröffentlichte. Das ist allerdings nur ein zahlenspielerischer Zufall; inhaltlich haben die Änderungen auf den beiden Seiten der Statistik nichts miteinander zu tun.

Und ebenso wenig, wie die Änderungen bei der Berechnung des Verbraucherpreisindex irgendein Produkt tatsächlich günstiger gemacht haben, sorgt nun die Veröffentlichung eines schwächeren Lohnanstiegs dafür, dass irgendjemand plötzlich weniger im Portemonnaie hat. Als Argument der Arbeitnehmerseite in anstehenden Lohnverhandlungen könnte der neue, höhere Reallohnverlust womöglich die eigene Verhandlungsposition stärken und so im Gegenteil sogar dafür sorgen, dass unter dem Strich mehr Geld herausspringt.

Autor: Sebastian Franke