Steuerschätzung: Zwischen düsteren Prognosen, finanziellen Engpässen und überraschenden Einnahmen

Chart of the Week

Weniger als zwei Wochen ist die neue Regierung im Amt, doch die Liste an To-dos ist lang. Zur Finanzierung der Vorhaben stand da die Präsentation der Steuerschätzung, die zweimal im Jahr vom Finanzminister vorgestellt wird, ganz oben. Denn die Steuerschätzung stellt eine wesentliche Grundlage für die Haushaltsplanung der Regierung dar. Da die zukünftigen Steuereinnahmen von unterschiedlichsten Faktoren wie dem Wirtschaftswachstum, der Inflation oder der Arbeitslosigkeit, aber auch von zukünftigen Steuerentlastungen oder -erhöhungen abhängen, muss eine Schätzung her, auf deren Basis die Regierung ihren Haushalt und ihre Pläne umsetzen kann. Gibt es genug finanziellen Spielraum für eine Unternehmenssteuersenkung oder den steuerfreien Zuverdienst von bis zu 2.000 Euro für Rentner?

Laut aktueller Steuerschätzung, vorgestellt von Finanzminister Lars Klingbeil am 15. Mai, könnte es für das ein oder andere Projekt eng werden. Denn der Staat wird in den kommenden Jahren deutlich weniger Steuereinnahmen haben als noch im Oktober 2024 angenommen. So wird bis 2029 ein Defizit von 81,2 Milliarden Euro erwartet. Dem Bund fehlen 33,3 Milliarden Euro – im aktuellen Haushaltsjahr fehlen 0,6 Milliarden Euro, für 2026 wird schon ein Minus von 10,2 Milliarden Euro erwartet.

Aber: Ganz so schlimm muss es dann auch gar nicht kommen, wie unser Chart der Woche zeigt. Denn weitaus öfter haben die Komponenten, die in die Steuerschätzung einfließen, positiv überrascht – wodurch es mehr finanziellen Spielraum gab als zunächst angenommen.

Differenz zwischen der Steuerschätzung im Mai des jeweiligen Jahres und den realisierten Steuereinnahmen des Staates im jeweiligen Jahr

(Differenz in Mrd. Euro, positiver Wert = mehr Steuereinnahmen als geschätzt)

Der Chart zeigt die Differenz der Steuerschätzung im Mai des jeweiligen Jahres vs. die realisierten Steuereinnahmen des Staates im jeweiligen Jahr
Quelle: Bundesfinanzministerium, Ergebnisse der Steuerschätzungen 2001 bis 2015 und ab dem Jahr 2016, Ergebnis der 168. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“; ING

Zu früh freuen sollte man sich jedoch nicht. Denn nicht selten hieß es dann in den zur Steuerschätzung herausgegebenen Pressemitteilungen, dass dadurch kein neuer Finanzierungsspielraum entstehe. Konsolidierungskurs, Schuldenbremse oder europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt würden zu einer tragfähigen Haushaltslage verpflichten. Darüber hinaus berücksichtigen die Steuerschätzungen keine steuerlichen Entlastungsmaßnahmen, die sich noch im Gesetzgebungsverfahren befinden, aber die Einnahmen des Staates schmälern können. Und gerade der Blick auf die letzten beiden Jahre zeigt, dass die schwächer als erwartete Konjunkturentwicklung auch die Staatsfinanzen belastet hat. Beim dritten Rezessions- bzw. Nullwachstumsjahr in Folge überrascht die wahrscheinliche Lücke von 0,6 Milliarden Euro denn auch nicht.

Heißt auch einmal mehr, dass etliche Pläne und Absichten, die in der Koalitionsvereinbarung stehen, aufgrund der Haushaltszwänge wahrscheinlich nie das Tageslicht sehen werden. Einmal mehr geht es um die Priorisierung. Und dabei kommt immer etwas zu kurz.

Autor: Inga Fechner