Boomer-Blast oder Doom-n-Gloom?
Chart of the Week
„Bullenmärkte sterben nicht an Altersschwäche“ – so heißt es zumindest an der Wall Street. Die „Market-Meltdown-Hypothese“ sagt den Aktienmärkten allerdings bereits seit den 1990er Jahren den großen Crash dank demographischem Wandel voraus. Und obwohl dieser Wandel schon längst keine Zukunftsmusik mehr ist und seine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung deutlich sichtbar, ist der Boomer-Blast bisher ausgeblieben.
Die jüngsten „Babyboomer“, also die jüngsten jener Generation, die während der geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit geboren wurde und rund 20 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung ausmacht, werden in diesem Jahr 56 Jahre alt. Die ältesten Boomer feiern in diesem Jahr den 71. Geburtstag und dürften somit bereits das Erwerbsleben hinter sich gelassen haben. Bei einem Renteneintrittsalter von 67 ist davon auszugehen, dass dem deutschen Arbeitsmarkt in den kommenden 11 Jahren mehr als ein Viertel aller Beschäftigten verloren gehen werden. Da die folgenden Generationen deutlich kleiner ausfallen, entsteht ein Ungleichgewicht, dessen Auswirkungen sich bereits in Form von Fachkräftemangel zeigen, und zwar insbesondere in den Bereichen, in denen der Beschäftigungsanteil der älter als 55-jährigen besonders hoch ausfällt.
Die große Frage ist jetzt, ob Finanzmärkten und Banken die große „Entsparungswelle“ bevorsteht. Denn wer aufhört zu arbeiten, bezieht in der Regel kein Arbeitseinkommen mehr und muss auf die im Leben angehäuften Ersparnisse zurückgreifen, um den Alltag zu finanzieren. Der Hypothese nach bedeutet dies: Immobilien werden verkauft, Aktien und andere Wertpapiere werden liquidiert. Und zwar im großen Stil, schließlich gehen zeitgleich viele Menschen auf einmal in Rente und müssen die Lebenshaltungskosten anderweitig decken. Und all diese Menschen würden die veräußerten Papiere und Immobilien der nachfolgenden Generation X überlassen – das Angebot einer deutlich größeren Generation träfe auf die geringere Nachfrage einer zahlenmäßig unterlegenen Gruppe und der Babyboomer-Blast wäre nicht mehr aufzuhalten.
Demographie der deutschen Bevölkerung (äußerer Kreis) und Verteilung der Aktien- und Investmentfondsbestände nach Altersgruppe (innerer Kreis)
Eine eher haltlose Hypothese oder naht wirklich das große „Entsparen“? Unser Chart of the Week zeigt jedenfalls, dass diejenigen, die älter als 55 Jahre alt sind, eigenen Berechnungen zufolge zwar weniger als die Hälfte der volljährigen Bevölkerung darstellen, zeitgleich aber die Hälfte der deutschen Aktien- und Investmentfondsbestände besitzen.
Was zunächst nach einem möglichen Ungleichgewicht klingt, das sich in den kommenden Jahren rächen könnte, ist tatsächlich wenig überraschend. Denn das Nettovermögen steigt im Laufe des Lebens ungefähr bis zum Ende des 54. Lebensjahres einer Person an. Laut Sozialbericht 2024 lag das mittlere Nettovermögen einer 16 bis 24-jährigen Person im Jahr 2021 bei 32.000 Euro, im Alter von 45 bis 54 Jahren erreicht es mit rund 440.000 Euro den Höhepunkt, bevor es in den folgenden Jahren graduell abnimmt. Das Entsparen fällt mit durchschnittlich 8 Prozent je Altersgruppe allerdings deutlich weniger stark aus als der Vermögensaufbau.
Die Hypothese setzt außerdem voraus, dass mit Ende des Erwerbslebens die Sparquote auf 0 Prozent sinkt – die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2013 widerlegen dies allerdings. Zwar verändert sich die Sparquote, ähnlich wie das Nettovermögen, mit voranschreitendem Alter und nimmt einen umgekehrt U-förmigen Verlauf, allerdings fällt sie niemals auf 0 Prozent. Ob diese Daten aus 2013 allerdings noch immer repräsentativ sind, bleibt offen. Immerhin könnten die „älteren Herrschaften“ von vor zehn Jahren noch eine andere Ansicht zum Sparen, Entsparen und Vererben gehabt haben als die Babyboomer heute.
Keine Frage, das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt hat das Potenzial für tiefgehende strukturelle Veränderungen und wirtschaftliche Herausforderungen. Einige davon sind bereits jetzt sichtbar. Ob und inwiefern auch der Aktienmarkt oder andere Vermögenswerte getroffen werden, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch undeutlich.