Bleibt die EZB in ihrem „good place“?
Chart of the Week
Zum ersten Mal im Jahr 2025 ist die Inflation wieder angestiegen: Nach 2,0 Prozent im Juni und Juli lag der Verbraucherpreisindex (VPI) des Statistischen Bundesamts im August um 2,2 Prozent über dem Vorjahresmonat. Auch der harmonisierte europäische Index HICP lag für Deutschland bei einem Plus von 2,1 Prozent nach 1,8 Prozent im Juli. Ausschlaggebend waren hier insbesondere höhere Lebensmittelpreise und ein nachlassender Basiseffekt niedriger Energiekosten. Müssen wir uns wieder Sorgen um die Inflation machen, die doch inzwischen nach den vorangegangenen Rekordwerten wieder unter Kontrolle schien? Muss die Europäische Zentralbank auf ihrer Ratssitzung in der kommenden Woche die Zinsschraube wieder anziehen?
Danach sieht es derzeit eher nicht aus. Nach einer eher schwammig formulierten Einigung besteht die Unsicherheit im Hinblick auf die Handelspolitik des wichtigsten Exportmarktes USA fort. Auch eine immer noch schwache wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone und vor allem Deutschland sowie ein langsames Nachlassen des Preisdrucks im Dienstleistungssektor und bei den Löhnen lassen nicht erwarten, dass sich dieser leichte Anstieg der Inflation verstetigt. Vielmehr könnte die EZB angesichts dieser Faktoren eher noch eine weitere Leitzinssenkung in Betracht ziehen.
Unser Chart der Woche zeigt für die letzten drei Jahre den Verlauf des VPI sowie des HICP für Deutschland und die Eurozone. Gut zu erkennen ist dabei, dass auch in den letzten Jahren die disinflationäre Entwicklung herunter von den Rekordwerten des Jahres 2022 nicht immer ganz geradlinig verlief. Tatsächlich hatten bereits im September 2024 alle drei Größen sogar unter dem 2-Prozent-Zielwert der Europäischen Zentralbank gelegen. Der Grund waren damals vor allem Basiseffekte durch niedrige Energiepreise – in Deutschland war beispielsweise Benzin damals etwa 15 Prozent billiger als ein Jahr zuvor, Strom rund 25 Prozent. Dass die Inflation danach wieder etwas anzog, führte aber schon damals nicht zu einer Kursänderung der EZB.
Inflation und Leitzinsen
VPI, HICP Deutschland und Eurozone sowie EZB-Einlagenzins seit September 2025
Diese hatte ihre Zinswende im Juni letzten Jahres erst eingeleitet, als die Inflation bereits mehrere Monate unter 3 Prozent gelegen hatte und ein weiteres Annähern an das 2-Prozent-Ziel mit hinreichender Sicherheit angenommen werden konnte – in der Rhetorik der EZB hieß es, dass die Geldpolitik ausreichend lange ausreichend restriktiv bleiben solle. Das scheint gelungen zu sein: Trotz einer stetigen, graduellen Lockerung der Geldpolitik kam es zu keinem nachhaltigen Wiederanstieg der Inflation.
Mit einer Preissteigerungsrate, die nun schon seit Monaten nur noch geringfügig um den Zielwert schwankt, und Leitzinsen, die ungefähr dort liegen dürften, wo man den sagenumwobenen „neutralen Zins“ verortet, befindet sich die EZB laut ihrer Präsidentin Christine Lagarde schon seit der Juni-Ratssitzung „in a good place“. Diesen wird sie voraussichtlich auch nächste Woche nicht verlassen. Denn das aktuelle Aufflackern der Inflation dürfte kaum dazu führen, dass die EZB nun wieder restriktiver in ihrer Geldpolitik wird – wohl aber könnte es Grund genug sein, von einer möglichen weiteren Lockerung abzusehen.