Lagardes „Global-Euro“-Moment: US-Zölle als Chance für Europa?

Chart of the Week

Als Christine Lagarde in diesem Jahr den „Global-Euro Moment“ausrief, war ihre Botschaft klar und ambitioniert: Europa sollte seine wirtschaftliche Stärke in größeren finanziellen Einfluss umwandeln – durch das Vertiefen von Handelsbeziehungen und den Abbau von Hürden. Wird der Euro stärker im Handelsverkehr genutzt, wird er auch bei der Rechnungsstellung und schließlich auch in den Reserven der Zentralbanken eine wichtigere Rolle spielen. Inzwischen gibt es eine neue Dynamik: Die US-Zollpolitik verändert Handelsströme und eröffnet Europa so die Chance, Marktanteile zu gewinnen und die Verwendung des Euro bei der Rechnungsstellung zu steigern.

Unser Chart der Woche zeigt, wo die Eurozone gegenüber den USA als Handelspartner realistisch gesehen Boden gutmachen kann – basierend auf einem Vergleich der Exportanteile von Eurozone und USA in ausgewählten Ländern. Die Grafik stellt die entsprechenden Länder danach dar, wie stark sie mit der Eurozone im Vergleich zu den USA handeln. Blasen unterhalb der 45-Grad-Linie markieren Länder, in denen die USA aktuell die Nase vorn hat. Blasen oberhalb der Linie sind jene Länder, bei denen die Eurozone bereits im Vorteil ist.

Es zeigt sich, dass für China, Brasilien, Indien, Südafrika und die Schweiz – Länder, die von hohen US-Zöllen (30 bis 50 Prozent) betroffen sind – die USA und die Eurozone derzeit eine ähnliche Rolle als Exportziele spielen. Diese Länder sind bedeutende BRICS-Mitglieder und/oder verfügen über große Währungsreserven. Einige von ihnen, vor allem Indien und China, haben zudem ein Interesse daran, die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern. Das könnte dem Euro zugutekommen – auch wenn der allgemeine Protektionismus der USA den Welthandel insgesamt und den Handel zwischen Eurozone und USA belastet.

USA und Eurozone als Handelspartner ausgewählter Länder

Der Chart zeigt den Anteil der USA und der Eurozone an den Exporten eines Landes.
Quelle: IMF, CEIC, nationale Quellen, Medien, ING

Schwieriger dürften die asiatischen Schwergewichte zu gewinnen sein – Japan, Südkorea, Thailand und Taiwan. Auch sie halten große, diversifizierte Währungsreserven und liefern derzeit 19 bis 24 Prozent ihrer Exporte in die USA, verglichen mit nur rund 10 Prozent in die Eurozone. Hier gibt es Spielraum für Verbesserung, aber Chinas dominierende Rolle muss berücksichtigt werden.

Die „low-hanging fruits“ für den Euro liegen näher an der eigenen Haustür: Großbritannien und Mittel- und Osteuropa. Hier entfallen bereits über 35 Prozent der Exporte auf die Eurozone, deutlich mehr als auf die USA, wohin weniger als 15 Prozent aller Exporte geschickt werden. Umgekehrt sieht es bei Kanada und Mexiko aus: Die USA nehmen 72 bzw. 82 Prozent der Exporte ab, die Eurozone nur etwa 5 Prozent – hier sind Verschiebungen kaum realistisch.

Vor diesem Hintergrund bieten die Handelsspannungen mit den USA der EU die Gelegenheit, das Freihandelsabkommen mit Indien abzuschließen, Zölle mit Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay, Bolivien) abzubauen und die Verhandlungen mit Mexiko, der Schweiz, Malaysia und Chile voranzutreiben.

Allerdings: Handelsmuster ändern sich nur langsam. Selbst bei erfolgreichen Verhandlungen verhindern Geografie und bestehende Lieferketten schnelle Anpassungen.

Mehr zu den Fortschritten des Euro als globale Währung finden Sie in unserem aktuellen Report: 100 days in, is the euro gaining ground on the global stage?

Autor: Dmitry Dolgin