How to grow debt (fast) – Frankreich im Dauerkrisenmodus
Chart of the Week
Die kürzeste Ehe der Welt soll nur rund drei Minuten gehalten haben. Nur unwesentlich länger dauerte es, bis die am Sonntagabend ernannte Regierung Frankreichs wieder den Rücktritt verkündete. Frankreich steckt tief in der Regierungskrise und was auf den ersten Blick wie ein nationales Problem aussehen mag, könnte sich zur Belastung für die ganze Eurozone entwickeln. In jedem Fall täte Deutschland gut daran, die angespannte (haushalts-)politische Lage in Frankreich als Negativbeispiel zu betrachten.
Frankreichs Politdrama dauert nun schon mehr als ein Jahr an. Im Sommer 2024 rief Präsident Macron in Reaktion auf die nationalen Ergebnisse bei der Europawahl zu Neuwahlen auf. Das Ergebnis? Zunächst große Unsicherheit an den Märkten, gefolgt von schwieriger Regierungsbildung und schließlich noch mehr Unsicherheit. Denn innerhalb eines Jahres wurden in Frankreich mittlerweile drei Regierungen ernannt, zwei Misstrauensvoten ausgesprochen und ein Rücktritt angekündigt. Es ist fast schon ein Glück im Unglück, dass die französische Verfassung Neuwahlen immer erst 12 Monate nach der letzten Wahl erlaubt. Der jüngste Rücktritt des erst vor einem Monat zum Premierminister ernannten Sébastien Lecornu erfolgte am Montagmorgen – nur Stunden nachdem er am Sonntagabend die Ressortminister und damit die achte Regierung unter Präsident Macron vorgestellt hatte. Bis zum Wochenende soll nun ein neuer Premier gefunden werden.
Ähnlich wie in Deutschland ist auch die französische Politiklandschaft extrem gespalten, was nicht nur die Regierungsbildung erschwert, sondern auch das Treffen politischer Entscheidungen. Die Folge: Frankreich hat bislang keinen Weg gefunden, den zentralen Konflikt – das wachsende Schuldenproblem – anzugehen. Im vergangenen Jahr hat die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet – Ärger „von ganz oben“, um die Rückkehr zu ordentlichen Staatsfinanzen sicherzustellen. Ende des ersten Quartals 2025 lag die Staatsverschuldung bei 114 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – nach 111 Prozent ein Jahr zuvor. Der Maastricht-Vertrag sieht eine Obergrenze von 60 Prozent vor. Auch das öffentliche Defizit überschritt mit 5,8 Prozent des BIP deutlich die erlaubten 3 Prozent. Und das ist kein Ausreißer: In den letzten 20 Jahren hat Frankreich es nur zweimal geschafft, die Defizitgrenze zu unterschreiten.
Der Blick auf die allmählich schwächelnde französische Wirtschaft zeigt, dass Geldausgeben allein kein nachhaltiges Wachstum bringt, wenn strukturelle Reformen Mangelware bleiben. Unser Chart of the Week verdeutlicht, dass all das, gepaart mit politischer Instabilität, auch Kreditwürdigkeit kosten kann.
Differenz zwischen der Rendite französischer und deutscher 10-jähriger Staatsanleihen
(in Basispunkten)
Die Differenz zwischen der Staatsanleiherendite zweier Länder, der sogenannte Spread, kann als eine Art Risikoprämie interpretiert werden – es ist der Zinssatz, den Finanzmarktteilnehmer verlangen, um die riskantere Anleihe dem als risikofrei geltendem Produkt vorzuziehen. Je höher der Spread, desto höher das Risiko. Und die Differenz zwischen französischen und deutschen Staatsanleiherenditen stieg im Laufe der vergangenen Woche auf den höchsten Wert seit Beginn des Jahres.
Besorgniserregend hoch ist die Zinsdifferenz damit noch nicht – was der Anstieg allerdings verdeutlicht, sind die wirtschaftlichen Konsequenzen der umfangreichen politischen Herausforderung. Denn je länger die Hängepartie und die Unsicherheit rund um den Haushalt anhält, desto stärker werden Unternehmen wie Haushalte Investitionen und Konsum in die Zukunft verlagern. Das Ergebnis: Frankreich dürfte in den kommenden Jahren langsamer wachsen als andere große Volkswirtschaften der Eurozone. Und die Eurozone verliert – neben Deutschland – ein weiteres wirtschaftliches Triebwerk.
Diese Entwicklung könnte möglicherweise auch die EZB auf den Plan rufen. Denn mit aus dem Ruder laufenden Kapitalmarktzinsen in einem Mitgliedsstaat, bzw. mit sich schnell weitenden Spreads, wird auch die geldpolitische Transmission in Gefahr gebracht. Um dem entgegenzuwirken hat die EZB im Jahr 2022 das „Transmission Protection Instrument“, kurz TPI, beschlossen. Damit im Rahmen des TPI Staatsanleihen eines Landes angekauft werden dürfen, müssen diese Länder allerdings die Maastrichtkriterien erfüllen oder müssen sie wenigstens Maßnahmen dafür eingeleitet haben. Beides trifft auf Frankreich aktuell nicht zu. Dass die Spreads zuletzt nicht noch stärker gestiegen sind, deutet darauf hin, dass die Märkte auf ein Eingreifen der EZB im Notfall vertrauen. Und tatsächlich hat sie einen gewissen Ermessenspielraum bei der Anwendung des Instruments. Warum aber sollte die Ausnahme für Frankreich gemacht werden? Nun, möglicherweise, weil es, wie der ehemalige Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker sagte, Frankreich ist. Möglicherweise aber auch, weil Frankreich schlicht und ergreifend zu groß und relevant für die Eurozone ist, um im Bedarfsfall nicht einzugreifen.
Doch mit schützenden Händen aus dem Frankfurter Ostend ließe sich weder die Regierungs- noch die Schuldenkrise lösen. In beiden Fällen ist ein echtes Umdenken nötig. Wille und Mut zu struktureller Veränderung und die Einsicht, dass öffentliche Gelder allein weder Wettbewerbsfähigkeit noch Wohlstand sichern. Das kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? Uns auch, weswegen Deutschland gut daran täte, die anhaltende Regierungs- und Schuldenkrise in Frankreich als negative Blaupause zu betrachten. Das bessere Drehbuch trüge den Titel: „How to regain competitiveness (gradually)“ – statt „How to grow debt (fast)“.