Lohnabstandsgebot – was ist das?
Wie es Sozialleistungen und Löhne beeinflusst
Das Lohnabstandsgebot ist ein zentrales Prinzip der deutschen Sozialpolitik, das sicherstellt, dass Erwerbstätigkeit finanziell attraktiver bleibt als der alleinige Bezug von Sozialleistungen. Dieses grundlegende Prinzip beeinflusst sowohl das Bürgergeld als auch die gesamte Arbeitsmarktpolitik und hat direkte Auswirkungen auf Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland.
Was ist das Lohnabstandsgebot?
Das Lohnabstandsgebot besagt, dass das verfügbare Einkommen aus Erwerbstätigkeit grundsätzlich höher sein muss als Sozialleistungen. Konkret bedeutet dies: Wer arbeitet, soll immer mehr Geld zur Verfügung haben als jemand, der ausschließlich Bürgergeld oder andere Sozialleistungen bezieht. Diese grundlegende Regel soll Arbeitsanreize schaffen und verhindern, dass Menschen aus finanziellen Gründen bewusst keiner Erwerbstätigkeit nachgehen.
Politische Debatte um das Lohnabstandsgebot
Das Lohnabstandsgebot war bis zum Jahr 2011 im Sozialgesetzbuch XII, das die Sozialhilfe regelte, gesetzlich verankert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war die Regelung aber nicht mehr zu rechtfertigen, da ein staatlicher Leistungsanspruch stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf decken muss. Mit der nach der höchstrichterlichen Klarstellung erfolgten gesetzlichen Abschaffung des Lohnabstandsgebots wurde das Prinzip somit nicht mehr als rechtliche Vorgabe im Sozialrecht geführt.
Heutzutage wird der Begriff im politischen Diskurs dennoch wieder aufgegriffen, da die Höhe von Sozialleistungen (insbesondere dem Bürgergeld) im Verhältnis zum Mindestlohn am Pranger steht. Kritiker argumentieren, dass die aktuellen Sozialleistungen zu hoch seien. Dadurch sinke für viele die Motivation zur Arbeitsaufnahme. Befürworter hingegen betonen, dass Menschen ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum haben, unabhängig von ihrer Erwerbsfähigkeit.
Kritik am Bürgergeld
Die Sozialleistungen in Deutschland sind so gestaltet, dass sie ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten. Gleichzeitig führt dies zu der Herausforderung, dass eine Arbeitsaufnahme sich nur dann wirklich rentiert, wenn der Lohnabstand ausreichend groß ist. In der Debatte dreht es sich letztlich um die Frage, wie sich das berechtigte und notwendige Anliegen sozialer Absicherung mit der Motivation zur Erwerbstätigkeit ausbalancieren lässt. Wie groß muss demnach der Lohnabstand sein, damit Arbeit sich wirklich für alle Betroffenen lohnt?
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), erklärt dazu in einem Blogbeitrag: „Richtig in der Diskussion ist sicherlich, dass ein gutes Arbeitseinkommen die Anreize für Arbeit erhöht.“ Gleichzeitig seien auch niedrige Löhne das Problem, nicht nur die Höhe der Sozialleistungen. Der richtige Weg sei somit eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Beseitigung der vielen Hürden, so dass eine höhere Arbeitszeit sich auch finanziell lohne.
Ifo-Studie bringt Klarheit in die Debatte
Konkret reibt sich die Kritik an der Höhe des im Jahr 2023 von der Ampel-Koalition eingeführten Bürgergelds. Von allen Seiten wurde die Befürchtung geäußert, dass zu hohe Sozialleistungen die Arbeitsanreize schmälern würden, sogar innerhalb der Regierungskoalition. Der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach im Januar 2024 davon, dass „Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun“.
Eine Studie des Ifo Instituts aus dem Jahr 2024 ergab jedoch, dass „trotz der deutlichen Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld weiterhin ein spürbarer Lohnabstand besteht“. Um einen Überblick über verschiedene Haushaltskonstruktionen zu erhalten, wurde die Simulation für vier verschiedene Haushalte durchgeführt. Ergebnis: Das Bild eines ausgeprägten Lohnabstands habe sich „für alle gezeigten Konstellationen“ recht konstant gezeigt. „Der Lohnabstand beträgt dabei für alle betrachteten Haushalte mehrere Hundert Euro“, heißt es in der Studie.
Die Problematik der Arbeitsanreize sei damit aber nicht aus der Welt geschafft. Die Autorinnen und Autoren der Studie schreiben, dass eine Reform des bestehenden Systems „aufgrund der teilweisen äußerst geringen Anreize zur Ausweitung bestehender Erwerbstätigkeit oder Erhöhung des Bruttoeinkommens für niedrige und mittlere Einkommen trotz des existierenden Lohnabstands“ weiterhin notwendig sei. Dafür müssten aber keine Sozialleistungen gestrichen werden. So könnten die „geringen Anreize zur Ausweitung bestehender Erwerbstätigkeit“ angehoben werden, ohne einer Erhöhung des Bürgergelds zu widersprechen.
Die Bürgergeld-versus-Arbeit-Debatte zeigt: Viele Menschen befinden sich in der sogenannten „Transferfalle“. Sie haben zwar grundsätzlich Interesse an Erwerbstätigkeit, aber der finanzielle Vorteil ist so gering, dass sich der Aufwand einer Arbeitsaufnahme kaum lohnt. Dies betrifft besonders Alleinerziehende, die zusätzlich Kinderbetreuungskosten stemmen müssten. Gleichzeitig profitieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen. Wohngeld, Kinderzuschlag und aufstockende Leistungen können das verfügbare Einkommen erhöhen und so das Lohnabstandsgebot praktisch umsetzen.