Verlustaversion erkennen und vermeiden
So investieren Sie entspannter
Haben Sie sich jemals gefragt, warum es Ihnen so schwerfällt, an der Börse Risiken einzugehen, selbst wenn die Aussicht auf Gewinne lockt? Oder warum man zu vorschnellen Entscheidungen neigt, um einen vermeintlichen Verlust abzuwenden? Die Antwort liegt in einem psychologischen Phänomen, das sich Verlustaversion nennt. Dieses Konzept aus der Verhaltensökonomik beschreibt, warum Verluste beziehungsweise finanzielle Rückschläge uns emotional stärker belasten als Gewinne uns begeistern können. In diesem Artikel erfahren Sie, was Verlustaversion bedeutet, wie sie unser Verhalten beeinflusst und wie Sie dieses Wissen nutzen können, um bessere Entscheidungen zu treffen.
Verlustaversion: Eine Definition
Die Verlustaversion beschreibt die Tendenz von Menschen, Verluste stärker zu gewichten als gleichwertige Gewinne. Dieses Verhalten wurde in der sogenannten Prospect Theory von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky untersucht und bestätigt. Kahnemann betont: „Menschen hassen die Vorstellung, Verluste zu erleiden. Selbst ein kleiner Verlust wird als äußerst unangenehm empfunden.“
Warum ist das so? Verluste haben für uns emotional ein größeres Gewicht, weil sie oft mit Gefühlen wie Angst, Bedauern oder Unsicherheit einhergehen. Gewinne hingegen lösen zwar Freude aus, aber diese ist meist weniger intensiv und nachhaltig. Dieser sogenannte Verlustaversionseffekt führt dazu, dass viele Menschen Risiken meiden und gar nichts tun – selbst dann, wenn die potenzielle Belohnung größer ist als der mögliche Verlust.
Wie Verlustaversion unser Verhalten beeinflusst
Die Verlustaversion wirkt sich – oft ohne, dass es uns bewusst ist – in vielen Lebensbereichen auf unser Verhalten aus. Ganz besonders aber an der Börse: Anlegerinnen und Anleger neigen dazu, Aktien oder andere Wertpapiere zu früh zu verkaufen, wenn die Kurse nachgeben. Die Angst vor weiteren Verlusten führt in diesen Fällen dazu, dass sie sich von ihren Investments trennen, selbst wenn es langfristig sinnvoller wäre, abzuwarten. „Die Angst vor Verlusten führt bei Rückgängen am Markt oft zu überstürzten Entscheidungen wie Panikverkäufen“, sagt Nikolas Kreuz, Geschäftsführer des Instituts für Vermögenssicherung & Asset Management in Hamburg (INVIOS GmbH). „Diese können jedoch Verluste zementieren und die Chance nehmen, von Erholungen zu profitieren.“
Gleichzeitig halten viele Investoren zu lange an verlustbringenden Anlagen fest, weil sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie eine Fehlentscheidung getroffen haben. Dieses Verhalten wird auch als Besitztumseffekt bezeichnet: Dingen, die wir bereits besitzen, messen wir einen höheren Wert bei, als sie objektiv aufweisen.
Warum wir so handeln: Kognitive Verzerrungen
Die Verlustaversion ist Teil einer Reihe von kognitiven Verzerrungen, die unser Denken und Handeln beeinflussen. Eine dieser Verzerrungen ist der bereits erwähnte Besitztumseffekt: Wir bewerten Dinge, die uns gehören, automatisch höher, weil wir sie verlieren könnten. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Status-quo-Bias. Menschen neigen dazu, den aktuellen Zustand (Status quo) beizubehalten, weil jede Veränderung mit einem potenziellen Risiko beziehungsweise Rückschlag verbunden sein könnte. Diese Denkweise führt dazu, dass wir oft an alten Gewohnheiten oder Entscheidungen festhalten – selbst dann, wenn es bessere Alternativen gibt. Die gute Nachricht: Sobald wir uns dieser Verzerrungen bewusst werden, können wir aktiv daran arbeiten, unser Verhalten zu ändern und rationalere Entscheidungen zu treffen.
Wie lässt sich die Verlustaversion überwinden?
Es gibt einfache Strategien, um der Verlustaversion entgegenzuwirken und sich von ihrer emotionalen Macht zu befreien, ganz nach der Devise von Nikolas Kreuz: „Emotionen raus, Regeln rein“:
- Langfristig denken: Gerade bei Investitionen lohnt es sich, Geduld zu haben und das große Ganze im Blick zu behalten. Verluste fallen oft kurzfristig ins Gewicht, während Gewinne sich langfristig auszahlen.
- Emotionen erkennen und hinterfragen: Achten Sie darauf, wie Sie sich fühlen, wenn Sie Entscheidungen treffen und versuchen Sie, die Situation sachlich zu analysieren. Oft hilft es, die potenziellen Vor- und Nachteile schriftlich festzuhalten, um eine objektivere Perspektive zu gewinnen.
- Sich mit Risiken vertraut machen: Verluste wirken oft bedrohlich, wenn wir uns unsicher fühlen. Informieren Sie sich daher breit über Themen wie Finanzanlagen oder Versicherungen. Je besser Sie die Risiken und Chancen verstehen, desto weniger werden Sie von irrationalen Ängsten beeinflusst.
- Kleine Schritte wagen: Wer sich mit Risiken schwertut, kann mit kleinen Schritten beginnen. Wählen Sie zum Beispiel eine neue Anlagestrategie mit überschaubaren Einsätzen. So können Sie Ihre Verlustängste langsam abbauen.
Verluste akzeptieren, Chancen nutzen
Die Verlustaversion ist ein natürlicher Teil unseres Denkens – doch sie muss uns nicht dominieren. Indem wir uns bewusst machen, wie stark Verluste unser Handeln beeinflussen, können wir besser mit ihnen umgehen. Verluste sind insofern auch eine Chance, zu wachsen und zu lernen.